Sonntag «Misericordias Domini»

Glaube nimmt Gestalt an im konkreten Leben

David Bringold, Pfarrer, Ref. Kirchgemeinde Jegenstorf-Urtenen

Predigttext: Jakobus 2, 14-26

Liebe Mitglieder und Freunde der Mennonitengemeinde La Chaux d’Abel
Liebe Leserin, lieber Leser

Ich hatte mich sehr gefreut, am 26. April mit Euch Gottesdienst zu feiern. Nun sind wir online miteinander verbunden und ich freue mich, diese Predigtgedanken für Euch zu schriftlich zu formulieren.

Zu Beginn eine kleine Übung:
Gibt es in der Vergangenheit Dinge, die Dir gut gelungen sind? Taten, von denen Du sagen kannst, das habe ich gut gemacht? Ich lade Dich ein, einen Moment darüber nachzudenken, dich darüber zu freuen und dafür dankbar zu sein.

«Wenn der Glaube keine Taten vorzuweisen hat, ist er tot», sagt Jakobus. Und er untermalt dies mit dem Beispiel von unterlassener Hilfeleistung gegenüber notleiden Glaubensgeschwistern. Diese starke Aussage von Jakobus löst bei mir eine doppelte Reaktion aus. Einerseits Widerspruch und Abgrenzung. Nein, nicht durch Werke werden wir erlöst. Wir können weder die Welt noch uns durch unsere menschlichen Taten retten. Die Reformatoren haben es in ihren Glaubenssätzen formuliert: Allein durch Gnade, allein durch Glaube, allein durch Christus. Und wir erleben es immer neu als tiefe christliche und evangelische Wahrheit: Wir sind von Gott angenommen und geliebt. Einfach so. Nicht wegen uns. Sondern wegen ihm. Wenn wir uns Jesus Christus anvertrauen, seine Erlösung annehmen, erfahren wir: Er hat alles getan. Wir müssen und können nichts tun, um angenommen und wertvoll zu sein. Niemand hat das Recht uns unseren Glauben abzusprechen und zu sagen: «Du hast zu wenig getan, darum ist Dein Glaube nichts wert.» Glaube findet Raum im stillen Kämmerlein, in das Jesus uns einlädt. Er besteht aus Vertrauen, Ruhe und Einkehr und basiert auf Gnade. Darin ist etwas Heiliges, Göttliches, das sich nicht durch solche schroffe Forderungen nach Taten angreifen und in Frage stellen lässt.

Andererseits habe ich beim Lesen der Worte von Jakobs den Eindruck: Der hat ja so recht, dass es fast schon weh tut! Was ist denn das für ein Glaube, wenn man in wichtigen Fragen und Situationen des Lebens nicht mehr davon spürt und sieht davon?

Und dann tut Jakobus etwas, was ich theologisch verblüffend, ja schon fast frech finde. Er nimmt Abraham als Beispiel. Abraham, der uns in der Bibel an verschiedenen Stellen als grosses Vorbild des Glaubens geschildert wird. Und aus diesem Vorbild des Glaubens macht Jakobus ein Vorbild der Taten. Er hat im Alter auf Gott gehört. Ist aufgebrochen in ein neues Land. Und war schliesslich sogar bereit das Letzte zu tun, alles zu geben:

«Wurde nicht unser Vater Abraham aufgrund seines Tuns für gerecht erklärt? Er wurde für gerecht erklärt, weil er seinen Sohn Isaak auf den Altar legte, ´um ihn Gott als Opfer darzubringen`. Daran siehst du, dass sein Glaube mit seinen Taten zusammenwirkte; erst durch seine Taten wurde sein Glaube vollkommen.»

Die Geschichte von der beinahe Opferung Isaaks ist aus meiner Sicht kein einfacher Text und bedürfte einer eigenen Predigt. Aber was Jakobus sagen will, lässt sich gut ableiten und verstehen: Glaube und Vertrauen mag wohl innerlich verwurzelt sein. Seine Quelle in der Stille und in der Gnade haben. Gestalt annehmen und zeigen tut er sich jedoch in den äusserlichen Schritten die wir tun. Gestalt annehmen tut Glaube im konkreten Leben.

Unser Konfirmationspfarrer erzählte und damals im Unterricht ein Beispiel aus seiner frühen Kindheit. Er wuchs in einer Pfarrerfamilie auf und konnte als kleiner Bub an einer Stubenversammlung teilnehmen. Als der Raum sich mit vielen Teilnehmenden zu füllen begann, wurde der kleine Dieter kurzerhand auf einen Schrank hinauf gesetzt, von wo er das Geschehen mitverfolgen und teilnehmen konnte. Nach der Versammlung bekam es der kleine Junge auf dem Schank jedoch mit der Angst zu tun. Wie sollte er nur von dem für ihn sehr hohen Schank wieder herunterkommen. Da stand sein Vater unten vor ihn hin, breitete sein Arme aus und sagte: «Spring». Und er tat es und wurde von seinem Vater sicher aufgefangen.

Worauf vertrauen wir und welche Vertrauensschritte tun wir? Was glauben wir und wie nimmt das in unserem Tun Gestalt an?

Ich glaube an einen Gott, der Wunder tun kann. Ich glaube dies nicht fatalistisch und würde wohl auch keine unvernünftigen Dinge tun. Eine innere Aufforderung zu einer Handlung in der Art der Opferung Isaaks würde ich wohl ablehnen, weil sie gegen das ist, was ich als vernünftig und gut erachte. Aber ich vertraue darauf, dass da wo ich menschliche Arbeit tue, eine wunderbare göttliche Wirkung entstehen kann. Wo ich als Pfarrer menschliche Worte stammle, Menschen durch den Heiligen Geist göttlich berührt, angesprochen und verändert werden können. Ich will mit offenen Augen durch das Leben gehen, stauen und mich freuen über das, was ich sehe und hinter dem sichtbaren das Wunder erahnen, welches dahinter liegt. Und ich bete immer neu um ein natürliches und um übernatürliches Wirken von Gott.

Wie handeln und leben wir, wenn wir an einen Gott glauben, der Liebe ist? Oder an einen Gott glauben der vergibt? Oder an einen Gott der gerecht ist? Wenn wir an einen Gott glauben, der uns das Leben in Freiheit, Fülle und Gemeinschaft schenken will, wie gehen wir um mit diesen Zeiten der Einschränkungen und der Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie? Wenn wir an Jesus Christus glauben, der auferstanden ist zum Leben, zu einer neuen Schöpfung, wie können wir im Vertrauen auf ihn, erfüllt von ihm aufwachen und aufstehen zum Leben? Die Doppelfrage lässt sich vielfältig erweitern. Was glaubst Du und wie nimmt das in Deinem Leben Gestalt an?

Die Frage wie unser Glaube im Leben Gestalt annimmt dürfen auch wir uns von Jakobus stellen lassen. Vielleicht sehen wir Lücken in unserem Handeln und Leben wo wir gerne mehr oder etwas anderes als bisher tun möchten. Nicht weil dies nötig oder gut wäre. Aber weil wir in unserem Inneren, von unserem Glauben her etwas spüren, was herauskommen und realisiert werden will. Vielleicht fühlen wir uns auch bedürftig auf der Seite unseres Glaubens und dürfen wie die Jünger von Jesus beten: «Stärke unseren Glauben!» oder «Ich glaube, hilf meinem Unglauben!».

Und wir dürfen uns ganz einfach wagen, was wir innerlich fühlen, was in unserem Glauben Gestalt annehmen will, zu tun. Ein erster Schritt ist oft nicht schwer. Und der nächste Schritt folgt beinahe von selbst. Und es entsteht ein spannender, vielseitiger, herausfordernder und erfüllender Weg!

Amen.

Der vorliegende Text ist eine Überarbeitung einer Predigt, die am 12. Januar 2020 in der Kirche Urtenen gehalten wurde und als Audio-Datei verfügbar ist.

Zur musikalischen Besinnung: Dieser zweite Sonntag nach Ostern steht im Zeichen der Barmherzigkeit Gottes, welche die Erde erfüllt – trotz und durch die Krisen, welche uns erschüttern. Palm 32 liegt dem Thema zugrunde.

Wolfgang Amadeus Mozart hat das Thema vertont. Sein Misericordia Domini ist hier zu hören. (Sollte am Anfang ein kleiner Kasten mit Werbung erscheinen, kann dieser mit Click ausgeblendet werden):

Gedanken zum 1. Sonntag nach Ostern

19. April 2020

Quasimodogeniti – (Wie die neugeborenen Kindlein – 1. Petrus 2,2)

Titelbild: Simeon und Hanna im Tempel, Rembrandt (1606 – 1669)

Von Nelly Gerber-Geiser, Tramelan

Liebe Schwestern und Brüder unserer Nachbargemeinde,

die gegenwärtige Zeit verlangt es, dass wir uns nicht treffen können. Gerne wäre ich heute mit euch in der Kapelle im Chaux-d’Abel. Nun treffe ich euch heute zu Hause beim Meditieren eines Textes, der für mich gut in unsere gegenwärtige Situation passt.

Wir feiern den ersten Sonntag nach Ostern, kommen also vom leisen Geschehen der Auferstehung her. Sie passierte im Stillen und wurde dann in der Stille erfahren. Aufgefordert davon zu erzählen, weiterzugehen und sie im Leben zu integrieren, wurde sie weniger still. Niemand dort hatte sie erwartet und niemand wusste, wie es nun weiter gehen sollte. Letzten Sonntag an Ostern haben wir Auferstehung zum Leben feiern dürfen. Das halt zu Hause, aber sicher auch feierlich.

Ich möchte euch heute einen Text lesen, der sonst an einem anderen Sonntag ausgewählt wird und auch dorthin passt. Für mich passt er eben auch in unsere Zeit und in die besondere Situation. Er begleitet mich seit einiger Zeit.

Ich lese im Evangelium nach Lukas Kapitel 2, die Verse 25 bis 38:

In Jerusalem lebte damals ein Mann namens Simeon. Er war gerecht und fromm und wartete auf die Rettung Israels, und der Heilige Geist ruhte auf ihm. Vom Heiligen Geist war ihm offenbart worden, er werde den Tod nicht schauen, ehe er den Messias des Herrn gesehen habe. Jetzt wurde er vom Heiligen Geist in den Tempel geführt; und als die Eltern Jesus hereinbrachten, um zu erfüllen, was nach dem Gesetz üblich war, nahm Simeon das Kind in seine Arme und pries Gott mit den Worten: „Nun lässt du, Herr, deinen Knecht, wie du gesagt hast, in Frieden scheiden. Denn meine Augen haben das Heil gesehen, das du vor allen Völkern bereitet hast, ein Licht, das die Heiden erleuchtet, und Herrlichkeit für dein Volk Israel.“

Sein Vater und seine Mutter staunten über die Worte, die über Jesus gesagt wurden. Und Simeon segnete sie und sagte zu Maria, der Mutter Jesu: „Dieser ist dazu bestimmt, dass in Israel viele durch ihn zu Fall kommen und viele aufgerichtet werden, und er wird ein Zeichen sein, dem widersprochen wird. Dadurch sollen die Gedanken vieler Menschen offenbar werden. Dir selbst aber wird ein Schwert durch die Seele dringen.“

Damals lebte auch eine Prophetin namens Hanna, eine Tochter Penuëls, aus dem Stamm Ascher. Sie war schon hochbetagt. Als junges Mädchen hatte sie geheiratet und sieben Jahre mit ihrem Mann gelebt; nun war sie eine Witwe von vierundachtzig Jahren. Sie hielt sich ständig im Tempel auf und diente Gott Tag und Nacht mit Fasten und Beten. In diesem Augenblick nun trat sie hinzu, pries Gott und sprach über das Kind und zu allen, die auf die Erlösung Israels warteten.

Ich werde nun nicht auf den ganzen Text eingehen können. Er ist zu reich und spricht doch von einigem.

Es spielt sich ab in einer Atmosphäre des Wartens, des Erwartens. Jahre vergehen. Geduld und Ausharren, Dranbleiben und Hoffen.

Die Jahre vergehen – und jetzt die Begegnung: geführt vom Heiligen Geist kommt Simeon in den Tempel – jetzt erkennt er im kleinen Kind die Wende – den Messias, auf den er seit langer Zeit hofft. Und wir hören seinen Lobgesang: „Meine Augen haben das Heil gesehen – nun darf ich gehen – mein Warten hat sich gelohnt – es war nicht vergebens – meine Hoffnung ist erfüllt. Ich kann in Frieden gehen.

Wie geht es wohl den Eltern in dieser Begegnung? Von ihnen lesen wir nichts ausser: „sie staunten ob diesen Worten, die über Jesus gesagt wurden.

Nun kommt uns noch eine Begegnung entgegen: Hanna, eine Prophetin tritt hinzu. Sie sei schon alt, 84 jährig – das ist 7 mal 12. Das zeigt die Fülle ihres Lebens, das volle, das reiche Leben. Sie ist Witwe seit langer Zeit, kinderlos geblieben und hat sich entschieden, im Tempel zu dienen mit Fasten und Beten bei Tag und bei Nacht. So heisst es. Sie ist also bereits im Tempel und wird nicht vom Heiligen Geist, wie Simeon, herein geführt. Sie ist bereits schon lange immer da. Was doch eher ungewöhnlich ist für eine Frau. Auch sie erkennt im Kind den Messias und lobt Gott.
Hanna – hebräisch Channa, bedeutet Gnade, Liebreiz. Lukas nennt Hanna eine Prophetin. Sie, die kinderlos geblieben ist, hat die Hoffnung nie aufgegeben, hat sich nicht verschlossen, sondern beharrlich auf das Kommen des Messias gewartet. Das mit Fasten und Beten.

Gleichzeitig mit Simeon erkennt Hanna die Bedeutung des Kindes Jesus. Sie preist Gott, heisst es. So also hat sie nicht umsonst gewartet, nicht umsonst gehofft, nicht umsonst geglaubt.

Hanna hat nicht umsonst geglaubt, dass die Hoffnungsgeschichte Gottes mit seinen Menschen weitergehen wird. Es heisst, dass sie es lauthals weitersagt, allen, die auf die Erlösung warten. Sie preist nicht bloss Gott, sondern verkündet zugleich Evangelium. Es ist eine öffentliche Deklaration, Verbreitung der guten Nachricht.
Simeon und Hanna bekennen beide, dass sich im kleinen Kind Gott selber den Menschen zeigt, sein Versprechen einhält.

Zwei alte Menschen, Frau und Mann ‚stehen als Glaubensvertretung dafür ein, dass die Sehnsucht weiter wächst.‘ Sie werden noch in ihrem hohen Alter herausgefordert und sie geben ein Beispiel dafür, dass Alter nicht einengt. Sie geben ihr Interesse, ihr Engagement nicht auf, ziehen sich nicht resigniert zurück. Sie halten an der Erfüllung ihrer Erwartung fest. Und die kommt hier in einem kleinen Kind aus einer einfachen Familie zu ihnen.

Die Kraft der Hoffnung wächst dort, wo Menschen, Junge und Alte, miteinander ihre Sehnsucht teilen und wie Simeon und Hanna durch alles was sie sehen und erleben, einander bestärken. Unsere Hoffnung verändert bereits jetzt unser Leben. Gott bietet in dem kleinen Kind Grund zur Hoffnung und Sehnsucht über unser Leben hinaus. Das Glaubenszeugnis von Simeon und Hanna zeigt, dass die Sehnsucht auf ein erfülltes Leben gelingen kann.

So wünsche ich euch als Gemeinde, als Familie, als alleinstehende Person, als Paar, als Junge und als Ältere, Hoffnung und Vertrauen zu wahren, zu pflegen und zu erbeten. Möget ihr in unseren doch nicht einfachen Zeiten behütet und gesegnet sein. Amen

Predigt zu Ostern 2020

Der «ungläubige» Thomas

von Helmut Eisinger

Im Namen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes will ich diese Besinnung beginnen. Amen

Der Herr ist auferstanden – der Herr ist wahrhaftig auferstanden!

Auch wenn wir uns heute diese Worte nicht persönlich zurufen können, rufe ich euch den Ostergruss zu: Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden!

Zum Einstieg zitiere ich 2 Strophen vom Lied 290 ( Friedrich von Bodelschwingh)

Nun gehören unsre Herzen ganz dem Mann von Golgata
der in bittern Todesschmerzen das Geheimnis Gottes sah
das Geheimnis des Gerichtes über aller Menschen Schuld
das Geheimnis neuen Lichtes aus des Vaters ewger Huld

Doch ob tausend Todesnächte liegen über Golgata,
ob der Hölle Lügenmächte triumphieren fern und nah
dennoch dringt als Überwinder Christus durch des Sterbens Tor
und die sonst des Todes Kinder, führt zum Leben er empor.

Der Predigttext steht in Johannes 20, 1-29

Ostern, die Auferstehung Jesu von den Toten, ist eigentlich das wichtigste christliche Fest, sozusagen die Vollendung dessen, das begonnen hat mit Weihnachten: euch ist heute der Heiland geboren, aber ein Heiland, der als armes Baby zur Welt kam, erst heranwachsen musste, ca. 30 Jahre auf Erden lebte, die damalige jüdische Glaubenstradition gehörig auf den Kopf stellte, von einem ihm sehr nahestehenden Mann, seinem Kassier, den Pharisäern und Schriftgelehrten zur Gefangennahme verraten wurde. Diese Religionsführer wollten Jesus aus dem Weg haben, da er ihr persönlich entwickeltes Glaubensbild gehörig aus den Fugen warf.

Was war also naheliegender, als ihm Gotteslästerung anzuhaften? Auf Biegen und Brechen wurden Argumente zur Festigung dieser These gesucht. Trotz zweifelhaften Aussagen und Falschaussagen wurde geschrien: Kreuzige ihn, kreuzige ihn. Das Volk, welches vermutlich Tage vorher Hosianna gerufen hat, wurde nun aufgewiegelt, «kreuzige ihn» zu schreien. Es muss tumultartig zu- und hergegangen sein, sodass die römische Besatzung Angst hatte, dass das Ganze in einen Volksaufstand/ Bürgerkrieg ausarten könnte und den Religionsführern in ihrem Sinn stattgegeben haben, damit Ruhe und Ordnung einkehrt. Obwohl die Römer klar merkten, dass da etwas nicht mit rechten Dingen zu- und herging.

Und es funktionierte. Jesus, der Sohn Gottes, wurde gekreuzigt. Die Situation war gerettet. Ein Kapitel abgeschlossen, die Möglichkeit für die Religionsführer, sich wieder dem Alltag zuzuwenden. Soweit, so gut.

Und die Jünger? Eigentlich wussten sie, dass Jesus der Messias ist. Da muss doch mit der Kreuzigung Jesu mindestens ihre ganze Welt, wenn nicht gerade das ganze Universum zusammengefallen sein. Der Hoffnungsträger par excellence hängt am Kreuz. Aber mit dieser ausserordentlich prekären Situation (der Sohn Gottes wurde gekreuzigt. Das muss man sich einmal vorstellen) ist die Geschichte nicht zu Ende. Nein, es geht weiter. Nach Karfreitag wird Ostern. Obwohl das die Religionsführer vorbeugend verhindern wollten. Vorsorglich wurden am Grab Wachen aufgestellt. Man könnte ja den Leichnam stehlen, und somit der Aussage Jesu, nach 3 Tagen wieder aufzuerstehen, nachhelfen. Aber auch das half nichts. Am Ostermorgen war der Stein weggerollt, und Jesus nicht mehr im Grab. Das war schon wieder ein Schock, besonders für die Frauen, die den Leichnam nach der jüdischen Tradition einsalben wollten.

Maria war ganz verzweifelt, auch Johannes und Petrus wussten nicht so recht, was mit der Situation anzufangen sei. Joh.20, 9: denn bis dahin hatten sie die Aussage der Schrift nicht verstanden….Bis ihnen Jesus selber begegnet. Da dämmerte es ihnen so langsam, was da geschehen ist.

Thomas war aber nicht dabei. Als er von den anderen Jüngern erfährt, dass Jesus auferstanden sei, glaubt er ihnen nicht. Vielleicht denkt er, es ist ein schlechter Aprilscherz, oder sie wollen ihm einen Bären aufbinden, auf alle Fälle beharrt er darauf, die Sache selber zu analysieren. Er will zuerst Jesus selber sehen, und dann kann er es glauben. Eigentlich ist die Reaktion nichts Anderes als menschlich. Man könnte schon bald sagen: Thomas wirkt abgeklärt, er hat die ausserordentliche Situation im Griff, er kann damit umgehen, er geht die Sache sachlich an, er hat einen objektiven Blick, schon fast ein wenig wissenschaftlich orientiert. Er will zuerst die Hände in die Wunden legen. Der «ungläubige« Thomas, wie er oft genannt wird, aber sind wir nicht manchmal auch so? Wir sind doch intelligent, gebildet, können uns über unmögliches und unvorstellbares im Internet oder sonst wo informieren. Aber etwas glauben?

Wir haben ja die Jahreslosung zu unserem Semesterthema gemacht:
Ich glaube, hilf meinem Unglauben (Markus 9,24)
Das passt ganz gut zu dieser Situation von der Auferstehung. Das müssen wir glauben mit Gottes Hilfe.

Wir scheinen ja eine aufgeklärte und abgeklärte Generation zu sein. Aber den Glauben können wir nicht ersetzen. Den Geist Jesu finden wir nicht primär im Internet. Natürlich können wir durch gewisse Artikel oder Aussagen inspiriert werden, aber Gottes Geist wirkt direkt zu uns. Für das braucht es kein Handy oder Laptop. Den Glauben können wir auch nicht über die Medien finden. Das ist und bleibt eine direkte Verbindung zwischen Gott, dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist zu uns Jesus sagt zu Thomas, und ich glaube, das sagt er vor allem uns: Du glaubst, weil du mich gesehen hast. Gesegnet sind die, die mich nicht sehen und dennoch glauben (Joh.20,29). Und das ist auch unser Bekenntnis: wir glauben an den auferstandenen Christus. Wir glauben an Christus, der um unserer Sünde willen das Blut auf Golgatha vergossen hat und einen Tod wie einen Mörder ertragen hat, um unsere Schuld auf sich zu nehmen, damit wir durch ihn Vergebung unserer bewussten und unbewussten Sünden erfahren dürfen. Aber es ist nicht beim Tod geblieben. Jesus lebt, unser Messias unser Christus lebt. Er ist am Ostermorgen von den Toten auferstanden.

«Der Herr ist auferstanden, der Herr ist wahrhaftig auferstanden»

Und er ist selbst da in der heutigen Zeit des Corona Virus. Einige unserer Mitbürger trifft das sehr schwer. Tod von geliebten Menschen, mangelnde Trauerzeit und Abschiednehmen, Angst um Job und Existenz, etc. Auch wir können uns nicht mehr live in der Kapelle treffen. Und unter Christen ist diese Situation auch nicht normal. Der gemeinschaftliche Aspekt ist auf Eis gelegt. Aber wir können für einander beten, uns schreiben, oder anrufen. Denkt besonders an die älteren Gemeindemitglieder. Vielleicht könnten wir einen lieben Ostergruss schicken/telefonieren?

Ich schliesse diese Besinnung mit einem Auszug aus Lied 307 ab:

Seele, dein Heiland ist frei von den Banden,
glorreich und herrlich vom Tode erstanden
Freue dich Seele, die Hölle erbebt:
Jesus, dein Heiland ist Sieger und lebt

Freue dich, Seele, der Hölle Macht lieget;
Sünde und Satan und Tod sind besieget.
Der im Triumphe dem Grab sich erhebt:
Jesus, dein Heiland ist Sieger und lebt.

Hoffe, o Seele, auch du wirst erstehen,
wirst ihn verkläret, den Herrlichen, sehen,
wie er die Palme des Sieges dir gibt,
so du ihn treu und von Herzen geliebt.

( Ignatius Heinrich von Wessenberg)

Wir beten:

Herr, unser Gott, wir danken dir, dass du den Leidensweg ans Kreuz gegangen bist, und damit unsere Sünden auf dich genommen hast, dass du von den Toten wieder auferstanden bist, dessen wir am heutigen Ostertag gedenken. Danke, dass du den Tod überwunden hast. Hilf uns, diese frohmachende und freimachende Botschaft unseren Mitbürger zur passenden Zeit weiterzusagen. Ich bitte dich für jedes einzelne Gemeindemitglied. Du mögest jede und jeden begleiten und bewahren und behüten. Besonders die Älteren und Betagten möchte ich dir anbefehlen. Schenke ihnen auch in dieser schwierigen Zeit der Einsamkeit den Hoffnungsschimmer von Ostern. Ich bitte dich auch für unser ganzes Land, für Europa und die ganze Welt. Erbarme dich unser und schenke den Regierenden Weisheit, die richtigen Entscheide in der aktuellen Situation zu fällen. Ganz besonders denke ich auch an das ganze Pflegepersonal, welches im Moment sehr gefordert ist. Gib du Kraft, Mut, und Hoffnung. Auch an die Ärmsten und Flüchtlinge denke ich. Erbarm du dich und zeige uns und allen Verantwortlichen realisierbare Lösungen, wo wir uns machtlos vorkommen.

Wir beten gemeinsam:

Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden.
Unser täglich Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen

Zum Schluss möchte ich euch noch einen Segen mitgeben:

Gott umarme dich und fülle dich mit seiner Liebe.
Gott trage dich über die Berge, die dir Angst machen.
Gott führe dich auf steinigen Wegen, ohne dass du Anstoss nimmst.
Gott schütze dich vor Gefahren und Feinden- innerhalb und ausserhalb von dir.
Gott berühre dich gerade dann, wenn es niemand sonst tut.
Gott spreche dir heilende Worte zu, die auch in deinen tiefsten Abgründen wirken.
Gott umarme dich und überschütte dich mit seinem Segen.

(Sabine Herold)

Ich wünsche euch eine gute Woche, blibet gsung.

Die 7 Worte Jesu am Kreuz – Karfreitagsbesinnung

Von Hans Oppliger

Liebe Gemeinde, liebe Freunde,

Für den heutigen Karfreitag nehme ich eine Meditation von Beat Weber, Evangelisch-reformierte Gemeinde in Linden, als Grundlage.

Diese Meditation finde ich gut und sie entspricht den Gedanken, welche ich euch gerne zum heutigen Karfreitag auf diesem Weg weitergeben möchte.

Die Worte Jesu am Kreuz

Sieben Kreuzesworte Jesu sind uns überliefert, allesamt kurz.
Diese Zahl ergibt sich, wenn man alle vier Evangelien berücksichtigt. Keines der Evangelien hat alle Worte überliefert. Von Lukas und Johannes sind es je drei, und von Matthäus und Markus gemeinsam eines. Es ist das Einzige, das von zwei Evangelisten bezeugt wird. Und es ist das einzige Kreuzwort, das auch in der Originalsprache, in der Jesus es ausgerufen hat, aufbehalten ist: auf Aramäisch. Dadurch ist seine Bedeutung unterstrichen. Es steht denn auch in der Mitte der sieben Worte. An ihm wollen wir Schuldbekenntnis und Vergebungszuspruch anschliessen.

Bei den sieben Kreuzesworten Jesu geht es um die Bedeutung für IHN und die Bedeutung für uns. Wir tun das in drei Teilen und haben bei der Musik dazwischen Zeit, das Gehörte zu bedenken.

1. Die drei Anfangsworte

Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun! (Lk 23,34)

Dieses erste Kreuzwort Jesu ist – wie das mittlere und das letzte – ein Gebet. Jesus betet zum Vater, aber nicht für sich selbst. Er tut es für andere: stellvertretend, fürbittend. Wer sich am Gesalbten Gottes vergreift und ihn tötet, verdient das härteste Gericht. Doch Jesus bittet den Vater, ihnen zu vergeben … denn sie wissen nicht, was sie tun.

Sie wissen schon, dass sie einen Unschuldigen töten – die Römer sicher und wohl auch die Juden. Pilatus findet nichts Todeswürdiges und will seine Hände in Unschuld waschen. Die römische Soldateska will nichts wissen und treibt ihr Spiel, aber der römische Centurio findet unter dem Kreuz zum Bekenntnis: Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen! (Mt 27,54)

Die jüdische Obrigkeit, der Hohe Rat, bemüht Falschzeugen, die sich widersprechen und deren Anschuldigungen ins Leere laufen. Dass Jesus ist, wer er ist – der Messias, der Sohn Gottes –, das ist für den Hohepriester gotteslästerlich und todeswürdig. Er weiss wirklich nicht, was er tut. So ist es bei allen: Sie wissen schon, aber im Letzten wissen sie nicht, was sie tun. Sie haben Jesus Christus nicht als Messias, Erlöser und Gottessohn erkannt. Sie waren blind, taub und verstockt – konnten nicht und wollten nicht.

Für sie, seine Peiniger, bittet Jesus beim Vater um Vergebung – ohne Hass, Bitterkeit und Groll. Mit diesem Gesindel identifizieren wir uns in der Regel nicht. Doch haben nicht auch wir mit Unglauben und Sünden, mit dem Verleugnen seines Namens und mit anderem mehr ihn vielfach geschmäht und ihm Leid zugefügt? Ist uns stets bewusst, was wir taten und tun – an ihm? Sind wir besser und bedürfen seiner Vergebung weniger? Ist er nur für uns gestorben und nicht etwa auch wegen uns, ja in gewisser Weise sogar durch uns? …

Das erste Kreuzwort Jesu ist an diese gerichtet, aber auch zu uns gesagt: Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun! Danke, Herr, für deine Fürbitte zur Vergebung! Jesus, sollte dein Vater, unser himmlischer Vater, dein Gebet etwa nicht erhören?!

Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein. (Lk 23,43)

Betrifft das erste Kreuzwort diejenigen, die ihn misshandeln und töten, so das zweite die, die mit ihm gekreuzigt werden. Genau genommen gilt es nur einem der beiden. Er ist einer, der weiss, wer er ist, wer dieser Jesus ist und was er tut. Sein Mitgekreuzigter, ein Verbrecher wie er auch, lästert mit den andern und sagt: Hilf dir selbst und uns! (Lk 23,39) Das tönt fast schon modern – man denke an das verbreitete, aber unselige Wort: Hilf dir selbst, so hilft dir Gott! Der andere Mitgekreuzigte tadelt ihn, dass er keine Ehrfurcht vor Gott habe. Beide hätten sie ihr Strafe verdient, dieser jedoch nicht. Tiefe Einsicht wird diesem „Schächer“ am Kreuz gewährt.

Dann richtet auch er an Jesus eine Bitte – sie kommt aus einem verwandelten Herzen: Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst! (Lk 23,42) Grosse Barmherzigkeit wird ihm in der Stunde seines Sterbens von Jesus gewährt: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.

Es ist Gnade im letzten Augenblick. Wir können von diesem Verbrecher lernen – und wie! Und wir dürfen über Jesu Gnade staunen – und wie! Man kann das Gnadenangebot nicht bis zum letzten Augenblick aufschieben. Gleichwohl wünschte ich mir mehr Menschen, die auch zu später Stunde auf ihrer Lebensuhr noch zu Jesus Christus und damit zu Gott finden. Der Mitsterbende bekommt zu hören: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.

Frau, siehe, das ist dein Sohn! / Siehe, das ist deine Mutter! (Joh 19,26–27)

Im Angesicht des Todes gilt Jesu Zuwendung den Seinen. Es geht um die Versorgung der Mutter. Der Pflegevater Joseph scheint verstorben zu sein. Jesus, dem ältesten Sohn, obliegt die Sorge um die Familie, insbesondere die Mutter. Frauen und Kinder hatten weniger Rechte und bedurften der Fürsorge. Das nimmt Jesus wahr. Mehr noch: Das Herz einer Mutter bricht, wenn ein Kind ihres Leibes stirbt. Sie braucht besonders liebevolle Nähe und bekommt an Jesu Statt einen neuen Sohn geschenkt. Der Gekreuzigte betraut Johannes, den Jünger, den Jesus lieb hatte, mit der Beistandschaft und stellt die beiden in eine neue, enge Beziehung zueinander. Es sind wenige Worte, die an Maria und Johannes ergehen und beide einander zuführen. Maria bekommt einen Sohn, Johannes eine Mutter: Frau, siehe, das ist dein Sohn! / Siehe, das ist deine Mutter! Das Evangelium des Johannes bestätigt, dass Johannes die neue Verantwortung angenommen hat, wenn es heisst: Und von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich (Joh 19,27). Was will dieses Kreuzwort Jesu uns sagen? …

Herzliebster Jesu, was hast du verbrochen? Aus: Matthäuspassion von J.S. Bach, BWV 144
  1. Das mittlere, zentrale Wort

Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? (Mt 27,45 = Mk 15,34)
Eli, Eli, lama asabtani?

In der Mitte seiner Kreuzesworte betet Jesus erneut. Er macht ein Gotteswort aus der Bibel zu seinem eigenen Gebet. Es ist dem Leidenspsalm 22 entnommen. Mit diesem Schrei eröffnet das Psalmgebet: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Vielleicht hat Jesus den ganzen Psalm gebetet. Wer ihn liest, wird merken, dass er in der Mitte von der Klage zum Dank wechselt. Es ist aber gut möglich, dass Jesus nur diese Anfangsfrage betete und ihm die Kraft fehlte, alle 32 Verse zu beten. Wie auch immer: Wir konzentrieren uns auf die Bedeutung der uns gegebenen Worte.

Es ist dies das einzige Mal, dass Jesus sich nicht nur verlassen von Menschen, sondern auch von seinem himmlischen Vater erfährt – er, der stets in inniger Nähe mit ihm und aus ihm lebte und uns auf Schritt und Tritt zeigt, wie der himmlische Vater ist. Welch grosser Schmerz drückt sich in dieser Klage aus! Warum hat Gott sich von Jesus abgewendet – jetzt, wo er ihn doch besonders nötig hatte? Oder ist das nur der Eindruck von Jesus, und hat sich Gott gar nicht von ihm abgewendet?

Wir sollen nicht psychologisieren, sondern das Wort so nehmen, wie es uns gegeben ist. Die Gottverlassenheit kommt davon, dass Jesus am „Fluchholz“ hängt. Ein todeswürdiger Sünder wird an ein Holz gehängt, und ein derart Aufgehängter ist gemäss der Heiligen Schrift verflucht bei Gott (5. Mo 21,22– 23). Gottes Abwendung von seinem geliebten Sohn ist die Bestätigung dafür, dass Jesus wirklich die Sünde der Welt und auch meine übernommen, auf sich geladen und getragen hat, dazu alle Gottverlassenheit, alle Krankheiten, alle Leiden, alle Bosheiten und was immer an Not diese Erde gesehen hat und je sehen wird. Der Apostel Paulus sagt: Christus ist gestorben für unsere Sünde (1. Kor 15,3). Christus aber hat uns erlöst von dem Fluch des Gesetzes, da er zum Fluch wurde für uns; denn es steht geschrieben (5. Mo 21,23): „Verflucht ist jeder, der am Holz hängt“ (Gal 3,13). So hat Gott den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir ihn ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt (2. Kor 5,21). Hier sind wir im Zentrum der Frohbotschaft, im Herzen dessen, was Karfreitag ausmacht.

Weil dem so ist, können und wollen wir gerne unsere Schuld bekennen und die Vergebung Christi empfangen. Wir tun das hier in der Mitte der Besinnung, beim zentralen Kreuzeswort Jesu. Es zeigt uns den Schmerz der Trennung, zugleich aber auch die Übernahme unsere Schuld und die Versöhnung bei Gott: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?

Ich lade Dich ein, hier dein freies Gebet zu formulieren!

Schuldbekenntnis: Gott Vater im Himmel, ich bekenne, dass ich vielfach vor Dir und vor Menschen schuldig geworden bin. Dies nicht nur mit angeblich grossen Sünden, sondern auch mit geistiger Blindheit, Unglaube und Ungeduld. Auch mit Hartherzigkeit, Richtgeist und Hochmut, mit Neid und Schadenfreude und allerlei Begierde. Nicht zuletzt habe ich vor dir mit Lieblosigkeit und Gleichgültigkeit gesündigt, wenn ich lebe, als ob es dich nicht gäbe. Wie oft beziehe ich dich in mein Leben nicht ein, folge dir nicht nach und diene eigenen Wünschen und nicht dem Reich Gottes. Vielfach sind Angst und Sorge vermengt mit mangelndem Vertrauen an deine Liebe und Fürsorge zur mir.

Herr, meine Schuld ist mir leid. So bitte ich dich um Vergebung und bin bereit, Schritte der Versöhnung zu tun gegenüber denen, die an mir schuldig geworden sind, wie das Unservater mich beten lernt.

O Haupt Voll Blut Und Wunden aus Matthäuspassion, J.S. Bach, BWV 244
  1. Die drei Schlussworte

Mich dürstet. (Joh 19,28)

Hier spricht Jesus ganz als Mensch, bringt seine Bedürftigkeit zum Ausdruck: Marterqualen und Mittagshitze haben seinen Leib ausgetrocknet. Er hat Durst.

Ich höre in seinen Worten auch mit: den Mangel und die Suche nach Durststillung, nach Lebensfülle einer Menschheit, deren Last er trägt. Er nimmt unseren Durst auf sich und bringt ihn in Gott zur Erfüllung. So wie er im gleichen Evangelium uns sagt: Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke! Wer an mich glaubt, wie die Schrift sagt, von dessen Leib werden Ströme lebendigen Wassers fliessen (Joh 7,37–38).

Es ist vollbracht! (Joh 19,30)

Ein ganz wichtiges Wort – nicht nur für mich! Es zeigt, dass Jesu Werk zu unserer Erlösung getan ist – ganz und bis zum Ende. Nun liegt alles beim himmlischen Vater.

Damit ist auch das Ende der Anfechtung gekommen. Bis zum Schluss wollten der Teufel und allerlei Ängste angesichts der Todeswürdigkeit der Schuldenlast ihn von seinem Weg abbringen. In Gethsemane hat er darumgebetet und gerungen, dass Gottes Willen geschieht. Nun ist er am Ziel seines Liebeswerks – denn niemand hat grössere Liebe als die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde (Joh 15,13).

Am Kreuz macht er aus uns Feinden Gottes Freunde. Es ist vollbracht! Das gilt für sein Werk, und das gilt für uns. Es ist ein Bollwerk gegen alle Versuche, sein Leben selbst erlösen zu wollen, zu müssen, zu können. Das ist gescheitert und wird scheitern. Einer allein hat es getan – ihm sei Ehr und Preis und Dank.

Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! (Lk 23,46)

Wir sind beim letzten Kreuzwort angekommen. Wie beim Warum?-Wort im Zentrum handelt es sich um ein Gebet. Und wie dort nimmt Jesus wiederum ein Psalm zu Hilfe, um seine Worte mit Gottes Heiliger Schrift auszudrücken. Es ist der erste Teil von Vers 6 aus Ps 31, ergänzt durch die Anrede „Vater“: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! Damit legt er sein Leben und sein Sterben, die Zukunft, was sein Sühnetod bewirkt, in Gottes Hände. Das Wort steht dem entgegen, dass wir unser Leben und Sterben, wie es mehr und mehr Brauch wird, in die eigenen Hände nehmen. Als die Seinen wollen wir uns, im Leben wie im Sterben, ihm anbefehlen – im Vertrauen darauf, dass er es wohl macht.

Es ist Jesu allerletztes Wort vor seinem Sterben und Auferstehen. Der Vater hat sein Gebet erhört und Jesu Geist und Leben in seine Hände genommen. Er hat sein Sterben zur Erlösung für die Vielen für gültig erklärt und dem Tod damit nicht das letzte Wort gelassen. Er hat Jesus aus dem Tod gerufen und es Ostern werden lassen. Daran gedenken wir übermorgen.

Einladung zum Hören von Heinrich Schütz: Die sieben Worte Jesu am Kreuz. (Dauer: knapp 20 Minuten. Ein Click öffnet YouTube in einem neuen Fenster (Tab) und du kannst hierher zurückkommen zum lesen. Sollte im Videofenster eine Werbung erscheinen, kannst du sie per Click aufs x rechts oben ausblenden)

Zum Palmsonntag – Jürg Bräker

La prédication de Georges Kobi est à lire ici

Zahlen halten mich in Bann in diesen Tagen. Zehntausende Wanderarbeiter in Indien machen sich auf Weg nach Hause, 600 Kilometer, und sie wissen nicht, wie sie den Weg bewältigen können. Jeden Tag die neusten Zahlen von Neuinfizierungen, Kurven mit Mortalitätsraten. Milliarden und Billionen an Unterstützungshilfe. Ich lese diese Zahlen, weil sie mir helfen sollen einzuordnen, was gerade geschieht. Die Zahlen sind wichtig, sie sind Grundlagen für Entscheide, die viele Leben retten können. Sie helfen mir auch, die einschneidenden Massnahmen zu akzeptieren. Und es ist nicht so, dass hinter den Zahlen die Einzelschicksale vergessen blieben. Im Gegenteil, gerade weil ein jedes Menschenleben zählt, sind wir bereit, schwere Folgen für die Wirtschaft in Kauf zu nehmen. Bill Gates brachte es auf den Punkt: «Die Wirtschaft bauen wir wieder auf. Aber die Toten holen wir nicht zurück.» Und doch werden in diesen Tagen auch Stimmen laut, man müsse die Balance halten. Und ist sie da nicht unterschwellig mit drin, die Frage nach dem Wert des einzelnen Lebens? Lässt der sich auch in Zahlen fassen?

Aber was mache ich mit diesen Zahlen und Informationen in meinem Alltag, in diesem neuen Alltag, der sich langsam einstellt? Sie halten mich halt doch in den Bann, diese riesigen Summen, und ich frage, was ich denn in dieser grossen Not tun kann. Auch in der Geschichte, die für den heutigen Palmsonntag vorgesehen ist, geht es um die Frage nach den grossen Nöten, geht es um Zahlen, und es geht um die Tat an einem einzelnen Menschen.

3 Als Jesus in Betanien im Haus Simons des Aussätzigen war und bei Tisch sass, kam eine Frau mit einem Alabastergefäss voll echten, kostbaren Nardenöls; sie zerbrach das Gefäss und goss es ihm über das Haupt.
4 Da wurden einige unwillig und sagten zueinander: Wozu geschah diese Verschwendung des Öls? 5 Dieses Öl hätte man für mehr als dreihundert Denar verkaufen und den Erlös den Armen geben können. Und sie fuhren sie an.

6 Jesus aber sprach: Lasst sie! Was bringt ihr sie in Verlegenheit? Sie hat eine schöne Tat an mir vollbracht. 7 Arme habt ihr ja allezeit bei euch und könnt ihnen Gutes tun, sooft ihr wollt; mich aber habt ihr nicht allezeit. 8 Was sie vermochte, hat sie getan. Sie hat meinen Leib im Voraus zum Begräbnis gesalbt.

9 Amen, ich sage euch: Wo immer in der ganzen Welt das Evangelium verkündigt wird, da wird auch erzählt werden, was sie getan hat, zu ihrem Gedächtnis.

Markus 14,3-9

In den Tagen nach seinem Einzug auf einem Esel in Jerusalem geht Jesus am Abend jeweils wieder nach Betanien hinaus. Er ist da bei Freunden zuhause. Vermutlich ist Simon einer, der vom Aussatz geheilt worden war, seine Geschichte ist uns nicht bekannt, aber sie muss so wichtig gewesen sein, dass sie in seinen Namen einging: Simon, der Aussätzige. Eine Erinnerung an eine Vergangenheit, in der Simon in Isolation leben musste, ein Ausgegrenzter, in einer Zeit, in der man rasch bereit war, Kranke als von Gott Gestrafte anzusehen. Jesus hat dieser Ansicht vehement widersprochen, und nicht nur das, er hat die Krankheit als Gelegenheit gesehen, dass Gott an diesen Menschen handeln kann. Gott ist derjenige, der sich den Ausgegrenzten zuwendet, sie berührt, sie mit Lebenskraft füllt und heimholt. So ist Simon der Aussätzige, jetzt auch Simon der Geheilte. Das ist jetzt nur Hintergrund; aber vielleicht gar nicht so unwichtig für das, was in diesem Haus geschieht.

Jesus ist bei seinem Gastgeber zu Tisch mit seinen Jüngern. Nach einem weiteren langen Tag in Jerusalem sind sie zurück bei Freunden. In den Gesprächen in der Stadt hat Jesus in die grossen Weltbewegungen geblickt, hat über Zeichen gesprochen, welche die Menschen beunruhigen, von Bedrängnis (Mk.13,19.) Die Jünger mögen sich gefragt haben, was dann ihre Rolle sein wird, wie sie sich als Gemeinschaft in diesen schweren Zeiten verhalten wollen, wenn die Welt aus den Fugen zu geraten scheint. Vielleicht gehen diese Gespräche noch jetzt am Tisch weiter. Jesus hat sie zur Wachsamkeit aufgefordert, sie aber ebenso davor gewarnt, zu schnell ihre Schlüsse zu ziehen.

Die Szene, die nun am Tisch folgt, ist intim, im kleinen Raum und nimmt nicht die ganze Welt in den Blick. Und hat doch auch mit der grossen Perspektive zu tun. Denn in alle Zeiten wird diese Tat hinausgetragen, dieser Frau soll gedacht werden, wo immer Evangelium, gute Botschaft verkündet wird. Gerade auch in schwierigen Zeiten, in denen die Menschheit weltweit verunsichert ist. Die Frau und ihre Tat sind untrennbar verknüpft mit der guten Nachricht, die gerade denen angekündigt wird, die leiden. Jesus nennt es eine schöne Tat. Kalos, in diesem Wort ist das Schöne, das Gute, das Angemessene und das Weise eins. Das, was jetzt richtig ist. Die Frau kommt herein, zerbricht das Alabastergefäss, das sie mitgebracht hat und giesst das Nardenöl aus über das Haupt Jesu. Sie salbt ihn mit Öl, das Öl tränkt seine Haare, seine Haut nimmt es auf. Der intensive Geruch erfüllt das ganz Haus, stärker als der Geruch der Speisen, der Kleider, der Tiere und was sonst noch so zu den Hausgerüchen gehört.

(Der in Europa beheimatete Speik ist der Narde verwandt, die vor allem im Himalaya vorkommt. Der Speik wurde früher auf Alpweiden geerntet und in eigenen Stadeln getrocknet. In diese Stadel sperrte man auch Leute ein, die bei kleineren Verbrechen gefasst wurde, etwa Diebstahl. Nach einigen Tagen im Stadel haftete der Duft den so Geächteten noch über Wochen an und diente der Warnung. Diese Anekdote gibt einen Eindruck von der Intensität des Geruches).

Und ich stelle mir vor, wie sie den Atem anhielten, die da am Tisch sassen. Nicht nur, weil der Duft so intensiv war. Sondern auch, weil da etwas ausnehmend Besonderes, ja geradezu Unerhörtes geschah. Dieses Gefäss war ein wohl lang gehüteter Schatz. Aufgespart und aufgehoben für eine ganz besondere Gelegenheit. Wie eine sehr seltene, teure Flasche Wein, bei der man sich fragt: Soll ich sie trinken oder besser verkaufen? Längst nicht jeder und jede im Dorf hatte etwas so Wertvolles in seinem Besitz. Das war nicht nur ein Schmuckstück, das war auch eine Rücklage für schwere Zeiten. Ein Arbeiter schuftete ein Jahr lang für den Preis dieses Öls.
Es war auch ein Versprechen, eine Vorfreude auf den einen besonderen Moment im Leben hin, für den dieses Öl war. Aber war das denn jetzt ein so besonderer Moment? Was rechtfertigt es, dass sie jetzt dieses Gefäss zerbricht, das Öl ausschüttet, unwiderruflich hingegeben? Ist diese Frau noch ganz bei Trost?

Die Reaktion ist deutlich: Da ärgern sich Einige mächtig, sie fragen nicht nur: «Wo ist hier der besondere Anlass?», das Urteil ist in der Frage schon gefällt: Das ist eine Verschwendung, da wird Wertvolles vergeudet, zerstört. Eben gar nicht angemessen. Sie haben mit ihrem Einwand nicht unrecht, dass man das Öl hätte verkaufen und mit dem Geld Armen etwas Erleichterung verschaffen können. — Ich kann ihnen nicht widersprechen, wäre das denn nicht wirklich gute Botschaft für viele, wenn sie sich für einige Tage keine Sorgen ums Nötigste machen müssten? — Aber dieser Einwand bringt auch ans Licht, aus welchem Blickwinkel sie die Sache ansehen: Das Öl im Fläschchen ist gar nicht dazu gedacht, gebraucht zu werden, das kann sich hier unter den Anwesenden niemand leisten. Wer das Gefäss zerbricht, verschüttet seinen Wert. Sein Wert muss umgemünzt werden, dann kann man damit Gutes tun. Das Versprechen, der besondere Moment, das gehört gar nicht in das Leben der Frau, gehört sich auch nicht für irgendeinen im Haus hier. Das ist eine Kostbarkeit, die man sich nicht leisten darf angesichts der Nöte dieser Welt.

Aber da ist noch ein ganz anderer Blickwinkel. Die um den Tisch sitzen, übersehen scheinbar, dass die Frau das Öl ja nicht verschüttet, sondern Jesus damit salbt. Es ist eine Tat an ihm. Die Frau hat ihre Gabe so eingesetzt, dass sie ihre Wirkung entfaltet. Für sie ist es nicht für einen Moment, der nie kommen wird, sondern für diesen Moment jetzt. Das Nardenöl ist jetzt nicht mehr ein Wert für andere Zeiten, eine Zahl. Es verströmt jetzt seinen Duft, erfüllt jetzt das Haus. Unwiderruflich, intensiv. Die Frau hat ihren wertvollen Schatz nicht nur verschenkt, sie hat Jesus diesen ganz besonderen Moment geschenkt, den es wahrscheinlich nur einmal in ihrem Leben gibt, wenn sie dieses Gefäss zerbricht.

Sie hat nur diesem einen Menschen zugesprochen, wie wertvoll er ihr ist. Es ist eine Tat der Liebe. Ein Wort, das nicht verklingt. All die anderen Möglichkeiten, was auch noch mit diesem Öl hätte getan werden können, geben nun diesem Wort, dieser Tat Gewicht. Auf all die Möglichkeiten verzichtet sie jetzt und sagt: «Du bist es wert.»

Jesus versteht dieses Wort. Seine Antwort auf den Vorwurf der Vergeudung spielt nicht die Bedürfnisse der Armen gegen diesen einen Moment aus. Aber Jesus hebt hervor, dass es mitten in den drängenden Nöten dieser Welt auch den Moment gibt für das Eine, das jetzt gut, richtig, schön, weise und wahr ist. Einfach, weil es jetzt für den Menschen ist, den ich beschenken möchte. Wenn die Nöte der Armen nur noch Zahlen sind, dann überfordert mich das nicht nur, es kann geradezu lähmen. Welche unter den unzähligen Möglichkeiten soll ich wählen, wenn ich doch nur beschränkte Ressourcen habe und so viel getan werden müsste? Und was macht meine Tat denn aus in diesem Meer von Problemen? Was zählt das Leben eines Einzelnen, wenn wir täglich von Tausenden von Toten lesen? Bedeutet es da noch etwas, dass jeder einzelne Mensch mit seinem ganz eigenen Leben wertvoll ist, ein Leben, das er teilt mit seinen Freunden, mit denen, die im nahe sind (und auch mit denen, mit denen er nicht zurechtkommt)? An dem Blick in die grossen Zahlen kann ich verzweifeln, resignieren. Die Summen können den Wert, das Schicksal des Einzelnen in sich verschlingen.

Jesus aber lenkt den Blick auf eine Wahrheit, die zwar nicht übersieht, dass wir Antworten finden müssen auf die Nöte, die hinter den Zahlen stehen, aber doch etwas Anderes hervorhebt : «Mich aber habt ihr nicht allezeit.» Es gibt auch Raum für den einen intimen, persönlichen Moment, der nicht aufgesogen wird in seinem Nutzen von all dem, was auch noch drängt. Es gibt Vieles, das wichtig ist, und es bleibt wichtig, dass wir das im Auge behalten. Aber es gibt nicht nur das grosse Ganze. Es gibt auch den Wert des einen Momentes, den ich nicht einrechnen muss, was er im Gesamten bewirkt. Mitten in den riesigen Zahlen bleibt auch der einzelne Mensch, der für mich zählt. Die Tatsache, dass wir jetzt bereit sind, auf so vieles zu verzichten, weist doch auch darauf hin, dass wir eine Ahnung haben von dem Wert eines Lebens, das nicht mit dem grossen Ganzen verrechnet werden kann.

Und da ist noch dieser wichtige Zusatz in der Antwort von Jesus: «Was sie vermochte, hat sie getan.» Was ich vermag, hängt nicht nur von dem ab, was ich könnte oder was ich habe, dem vorhandenen Potential. Es hängt auch von den Gelegenheiten ab, die mir begegnen. Nicht alles ist allezeit möglich. Es gibt Wichtiges, das nur jetzt getan werden kann. Es ist auch eine Gabe, zu erkennen, was dieser Mensch vor mir jetzt braucht. Die Frau hat erkannt, dass es jetzt richtig ist, diese Tat an Jesus zu tun. Ihn mit ihrer Liebe herauszuheben aus all dem Drängenden und dazu zu stehen, wie kostbar das Leben dieses Mannes ist. Das vermochte sie, weil sie ihn erkannte und weil sie das, was sie hatte, mit ihm zusammenbrachte. Solche Taten sind ein Wagnis, denn ich kann ja meist nur zu einem kleinen Teil abschätzen, was ich bewirken kann. Oft entsteht viel mehr daraus, als ich absehen kann.

Ich habe den Eindruck, dass uns der Wert solcher Taten in diesen Tagen bewusster geworden ist, vielleicht gerade, weil wir den Verlauf der grossen Linien nicht einschätzen können. Wenn wir einem Nachbarn beistehen, uns etwas mehr Zeit nehmen für ein Gespräch, nachfragen, wo ich helfen kann, dann ist das mehr als nur ein Versuch, der Ohnmacht zu begegnen, die mich lähmen könnte, weil wir nicht wissen, worauf wir zugehen. Es ist mehr als Aktivismus, mit dem wir die Angst vor dem Ungewissen eine Armlänge von uns weghalten. Es sind Taten, die ihren ganz eigenen Wert haben und behalten, die vielleicht weit mehr bewirken, als wir ahnen. Es sind schöne Taten, in denen wir auch etwas von der Schönheit erfahren, die wir nur erahnen, die Schönheit des Lebens Jesu, der sein Leben für andere, anderen zugute gelebt hat. Wir erleben den tiefen Trost dieser Momente, wenn ich schlicht weiss: Das war jetzt richtig, schön, weise und wahr.

Für Jesus verändert diese Tat der Frau die Tage, durch die er jetzt gehen muss. Die intime Liebe, in die er hineingenommen wurde, dieser Erweis: «Du bist es wert!» begleitet ihn jetzt durch die Stadt Jerusalem. — Düfte können längst Vergangenes schlagartig in die Gegenwart holen. Der Duft von warmem Mehl und frisch gebackenen Weissbrot – da bin ich plötzlich wieder an jenem Wintermorgen in Leontica, als ich vor einer Bäckerei diesen Duft zum ersten Mal bewusst wahrnahm. Oder Kartoffeln mit Rosmarin und Olivenöl – wenn ich sie aus dem Ofen nehme, bin ich an jenem lauen Abend in Südfrankreich, auf der Terrasse mit Freunden, guten Gesprächen und schönen Tagen am Meer. Noch heute kann ich heraufholen, wie es roch im Flur im Haus meiner Grosseltern. Es sind nicht nur Bilder, die mit den Erinnerungen kommen, es sind die Gefühle, die Schönheit, Wärme, der Trost und Geborgenheit, die mit ihnen da sind. Der Duft ist oft eine Brücke hin zu längst Vergangenem, er kann eine Tür öffnen, die mich mit der Kraft jener Momente verbindet.

Jesus wird den Duft des Nardenöls in den kommenden Tagen mit sich tragen. Sein Haar, seine Haut werden noch wochenlang danach duften. Der Duft wird als stärkende Erinnerung mit dabei sein, wenn Jesus in Gethsemane mit der Todesangst ringt. Der edle Duft wird bei Pilatus vielleicht für eine kleine Verwunderung sorgen; eine Irritation, die ihn fragen lässt, mit wem er es hier wirklich zu tun hat. Der Duft der Narde ist auch da nicht ganz verschwunden, wenn Jesus gedemütigt, gefoltert und alleine dem Tod ausgesetzt wird, der eigenen Ohnmacht ausgeliefert. Immer wird da auch dieser Wahrheitsmoment der Liebe, diese schöne Tat mit ihm sein, die ihm versichert, wie wertvoll er den Seinen ist.

Jürg Bräker