Ostern 2021

Tödliches Spektakel und Kontemplation des neuen Lebens

Heute morgen sind wir hier zum Ostergottesdienst, und wir wiederholen den über 2000 Jahre alten Ostergruss: Christus ist auferstanden. Doch vorgestern erst war Karfreitag. Ostern ist undenkbar ohne Karfreitag. Der Auferstehung Christi geht das Leiden und Sterben Jesu voraus. Wer oder was nicht stirbt, wird nicht auferstehen. Genau so wie jemand der wach ist, nicht aufgeweckt werden kann. Aufwachen kann nur, wer schläft. Daher: Es gibt ohne Karfreitag keine Ostern.
Dieses Jahr haben wir am Karfreitag aus bekannten Gründen keine Feier durchgeführt. Deshalb feiern wir heute Ostern etwas ausdrücklicher vor dem Hintergrund dessen, was am Karfreitag geschah.

Ich habe es an Ostern 2019 gesagt: Das Kreuz mit seiner abgrundtiefen Gewalt ist die weltlich-menschliche Antwort auf das Erscheinen und Wirken von Jesus, auf die Mensch-gewordene Liebe. Das leere Grab dagegen ist die göttliche Antwort auf das grauenvolle und von Menschen verursachte Leiden am Kreuz. Einfach gesagt: Gott redet und handelt in Barmherzigkeit und der Mensch antwortet darauf mit Gewalt. Gott nimmt diese in Kauf, um darauf mit neuem Leben zu antworten. Noch kürzer: wo der Mensch tötet, da macht Gott lebendig. Gottes Allmacht zeigt sich darin, dass Gott lebendig macht, neues Leben schenkt da, wo es verloren und unmöglich scheint.

Ich lade euch nun ein, die beiden Ereignisse, Karfreitag mit der Kreuzigung Jesu, und Ostern mit dem leeren Grab, gewissermassen einander gegenüber zu stellen.

Wollten wir den beiden Ereignissen Stichworte zuordnen, welche wären das?
Karfreitag:
Angst, Verrat, Enttäuschung, Desillusion, Gewalt, Verachtung, Verleugnung, Erniedrigung, Entwürdigung, Schmerzen, Leiden, Sterben, Tod…
Ostern:
Ungewissheit, Leere, leeres Grab, Sonntagmorgen, Sonnenaufgang, Aufbruchstimmung, Freude, Begeisterung, neue Hoffnung, Erleichterung, Leben, neue Herausforderung…

Karfreitag: tödliches Spektakel

Doch laut biblischen Berichten ist der Karfreitag kein Tag der Stille und der traurigen Einkehr. Traurig schon, aber nicht besinnlich. Ganz im Gegenteil: Da wird verhandelt, gestritten, geschrien, verhört, verleugnet, geweint und geheult. Als Jesus stirbt, zieht ein ungeheuerlicher Sturm mit gewaltigem Getöse übers Land, der Vorhang des Tempels verreist ob den gewaltigen Winden und Gräber öffnen sich ob dem Erdbeben, all das in unheimlicher Verdunkelung der Sonne. Ein gewaltiges Spektakel, welches der Gewalt, welche Menschen an andern Menschen verüben in gottloser Verachtung und unverschämtem Hass, ganz und gar entspricht. Das Leiden und Sterben löste gewissermassen gewaltigen Sturm unter ungeheurem Lärm aus. Es gibt unzählige Augenzeugen dafür. Viele Zuschauer, manche, die vor dem grausamen Spiel flüchten, die Erde und das Wetter, die sich wie entsetzt aufbäumen. Die Natur bäumt sich buchstäblich auf ob dem Skandal des Kreuzes und des Todes eines unschuldigen Menschen.

In meiner Lektüre während der Passionszeit bin ich aufmerksam geworden auf Umstände, die ich mir so bisher nicht vor Augen gehalten habe. Traditionell begehen wir Karfreitag eher in Stille. Ich erinnere mich, dass meine Grossmutter uns Kinder und Jugendliche anhielt, die Musik abzustellen, vor allem wenn es moderne Musik war. Pop oder Rock war absolut unpassend und verpönt. Bis vor einigen Jahren waren am Karfreitag die Kinos geschlossen. Karfreitag war ein dunkler, still bedrückter, düsterer Tag. Suppe und wenig Worte, gedämpfte Stimmung. Schliesslich wurde Jesus an diesem Tag ans Kreuz geschlagen. Alle Hoffnungen der Jünger und vieler anderer Menschen waren damit auch zerschlagen. Oder man denke an Maria, die Mutter Jesu, die ihren Sohn am Kreuz leiden sieht… Dieser Tage findet in den USA der Prozess statt gegen Derek Chauvin, unter dessen Knie George Floyd starb. Der Umstand, dass dieser Prozess in der Karwoche stattfindet, machte mich sehr betroffen: Das Kreuz Christi steht nach wie vor aufrecht in dieser Welt. Wie viele Mütter und Väter weinen um ihre Kinder, die an Hunger, Kriegsverletzung oder Mangel an medizinischer Versorgung sterben? Von Morja bis Myanmar, von Syrien bis zu den Uiguren in China, bis nach Jemen oder in den Kongo. Karfreitag ist jeden Tag, wo Menschenleben durch Versagen, Gier, Gewalt oder politische Dummheit verderben und verloren gehen, wo die Hoffnung stirbt, wo Gottes Liebe mit Füssen getreten wird.

Ostern: stiller Aufbrung des neuen Lebens

Demgegenüber ist Ostern ein sehr stilles und gewaltfreies Ereignis, abseits von jedem Spektakel und jedem Lärm (abgesehen von Matthäus, der ausschmückt und sagt, es habe ein Erdbeben gegeben. Ja, vielleicht hat die Erde vor lauer Freude gebebt, wer weiss?). Da ist aber niemand dabei, die oder der berichten kann, was geschieht. Es gibt keine Augenzeugen, wie auf Golgotha. Die Sonne geht auf in ihrer stillen und wunderbaren Kraft, wie an jedem schönen und geruhsam feierlichen Sonntagmorgen. Die Frauen (bei Matthäus sind es die beiden Marias, bei Markus und Lukas ist noch Salome dabei, und Johannes nennt nur Maria) gehen heimlich zum Grab, welches der Aussenseiter Josef von Arimatia aus Zuneigung zur Verfügung gestellt hat. Die Wachsoldaten schlafen, die Jünger sind in ihrem Versteck und halten sich möglichst still. Da ist nichts Aufsehen Erregendes, kein Spektakel, abgesehen von der ruhigen Anwesenheit des weiss gekleideten Jünglings, im Grab, bzw. der beiden Gestalten beim Grab. Laut Johannes laufen die beiden Jünger um die Wette, sie haben es eilig, wollen wissen, das da los ist. Johannes bietet als einziger eine Erklärung: Sie verstanden die Schrift noch nicht, dass er nämlich von den Toten auferstehen müsse. Dann fügt Johannes ganz lapidar an: « Da gingen die Jünger wieder heim. » Sozusagen, als wäre nichts geschehen. Der Alltag kann wieder einkehren. – Aber welcher Alltag? Was ist normal? Wie wird es sein? Fragen, die wir uns stellen für die Zeit nach der Pandemie…

Perspektive des Lebens

Letzten Winter, als die Pandemie uns wieder so richtig einholte, schien Ostern sehr weit weg. Hofften wir nicht ein wenig, dass wir dann Ostern feiern könnten bei schönem Frühlingswetter und zugleich auch die Auferstehung aus der Pandemie?
Nun sind wir hier. Wir sind am Leben und die meisten von uns gesund genug, bis in die Kapelle zu kommen um zusammen Ostern zu feiern. Diejenigen, die es nicht können, weil die Gesundheit es ihnen unmöglich macht oder weil das Risiko zu hoch ist, sehen sich natürlich mit der Frage konfrontiert: was wird aus mir? Wie soll es weitergehen? Welchen Sinn macht das für mich?

Es stimmt, vielen Menschen ist es in dieser Zeit kaum ums Feiern. Jean-Claude Guillebaud, der in der schönen Wochenzeitschrift La Vie wöchentlich eine Kolumne (bloc-notes) schreibt, beschreibt die Zeit des ersten Lockdowns mit den folgenden Worten: « Die Zeit ist geprägt von einer allgemeinen Angst und von einer dauerhaften Unordnung der Gemüter (marqué par une peur générale et un désordre durable des esprits). »

Ich fand diese Beschreibung sehr treffend: dauerhafte Unordnung der Gemüter. Ich konsultiere täglich mehrere Tageszeitungen, Wochenzeitschriften und diverse soziale Medien. Ich bin wirklich beunruhigt, nicht bloss über die Weltlage, sondern mehr noch über eine Entwicklung in unserer Gesellschaft, die zunehmend feindselig, ungeduldig, aufgebracht, und polarisiert ist. Es genügt, Äusserungen zu anstehenden Abstimmungen zu lesen. Ich höre von Menschen, die sich ernsthaft engagieren und dafür zunehmend Anfeindung erfahren. Drohbriefe nehmen stark zu. Leserbriefe in Zeitungen lese ich nicht, aber ich höre, dass immer mehr Briefe nicht veröffentlicht werden können, weil sie jenseits der gängigen Regeln sind. Egal ob wir bei guter Gesundheit sind oder nicht, müssen wir uns fragen: wie äussern wir uns? Nehmen wir Stellung und in welchem Ton tun wir es? Wie reden wir über andere? Da fällt uns die Jahreslosung ein: Seid barmherzig…

Natürlich ist das auch ein Ausdruck der von Guillebaud erwähnten allgemeinen Angst. Es ist aber Ausdruck einer tiefer sitzenden Verunsicherung und Perspektivenloskgkeit, die nicht durch Covid entstanden ist, sondern vielmehr durch Covid und die Pandemie zum Vorschein gebracht wird.

Aber da ist noch etwas, tiefer sitzendes: Die Angst und die Unordnung des Gemüts halten uns von der Kontemplation der Barmherzigkeit Gottes ab, die wie die an Ostermorgen aufgehende Sonne ist. Das war die Situation der Jünger: Sie verharrten in der Dachkammer und wären fast an Ostern vorbei gegangen, hätte sie nicht Maria aus ihrer Lähmenden Verschlossenheit geholt. Ich frage mich oft: Warum lieben die Menschen das Spektakel, welches leider oft zerstörerisch ist? Wo doch die Schöpferkraft Gottes in der Kontemplation sichtbar wird. Wachsen nicht die Sprossen der Bäume, Blumen und Gemüse in aller Stille und abseits von lärmigem Spektakel? Um es wahrzunehmen müssen wir still einhalten.

Das Leben ist und bleibt, bei aller Schönheit und gelegentlichem Glück, kompliziert und nicht selten schmerzhaft, machmal sehr schmerzhaft.

Jesus hat diese zutiefst menschliche Erfahrung gemacht. Er ist darin uns ähnlich geworden. Nun sind wir eingeladen, ihm darin ähnlich zu werden, wie er damit umging. Es gibt nichts, weder in der Bibel, noch auf dieser Welt oder in unserem Leben, das uns zeigt, wer Gott ist, ausser Jesus von Nazareth, der Gekreuzigte und Auferstandene. Durch Jesus Christus kennen wir Gott.

Ich glaube, die Gesellschaft in der Schweiz und in Europa ist durch zunehmenden materiellen Komfort an einem Punk angelangt, wo viele sich nur noch ein leichtes und angenehmes Leben wünschen und dafür auch bereit sind, alles zu zahlen, was sie können – und noch mehr. Dass dabei vor allem die Freiheit und das Wohlbefinden der Andern beeinträchtigt wird, merken sie nicht oder es ist ihnen egal. Kontemplation des Lebens ist ihnen fremd geworden, sie wollen das spektakuläre Vergnügen und immer mehr davon immer schneller.

Doch der Glaube an Christus und an Gottes Barmherzigkeit macht das Leben nicht leichter und angenehmer, aber er gibt uns eine Perspektive. Unser Leiden wählen wir in der Regel nicht aus. Jesus hat sich das Kreuz nicht ausgesucht. Er hat aber dazu ja gesagt, weil jede andere Antwort auf der Linie der Ankläger und Henker gewesen wäre und die Gewaltspirale verlängert hätte. Somit wäre sie nicht göttlich gewesen. Das meinte Jesus, als er Petrus zur Antwort gab, damals bei der Leidensankündigung: Du hast im Sinn was weltlich-menschlich ist, nicht was göttlich ist. Deshalb kann die Perspektive, die durch Ostern, bzw. durch die göttliche Schöpfungskraft, geschenkt wird, auch die eines Kreuzes sein. Sie ist auf jeden Fall aber eine Perspektive der Liebe und der Barmherzigkeit: Jesus verwünschte seine Killer nicht, er betete für sie. Liebe deinen Nächsten wie dich selbst, sagte er denen, die es hören mochten.

Schluss

Ostern ist der Tag oder der Moment, wo die Perspektive des Lebens inmitten eines desillusionierten Lebens und einer von Hass und Gewalt gestörten Welt neu definiert und bestätigt wird: Es kommt Licht in die Dunkelheit. Die Dunkelheit mag riesig sein, doch sie ist nicht sinnlos und sie ist nicht unendlich. Sie ist der Ort, wo sich dank dem Licht die Wahrheit erweist und eine neue Wirklichkeit entsteht. (Das ist die Erfahrung der meisten MystikerInnen)
Auf dem Weg der Auferstehung steht das Kreuz und der Kreuzesweg, welcher der Weg der Liebe und Barmherzigkeit ist und zur Auferstehung führt. Diese aber sind dem inneren Auge zugänglich, welches innehält um dem Geheimnis des Lebens auf die Spur zu kommen.
Die Liebe Gottes wie sie in Christus offenbart ist, wird uns und diese Welt nie fallen lassen und nie verlassen. (Prêtre à Hérémance).


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