Aufrichtiger Dienst der Guten Nachricht für alle Menschen

Predigt zur Hundertjahrfeier von MCC – Geisberg, Frankreich 1. November 2020

Wer die Predigt lieber hören möchte – in franz. mit deutschem Text – kann unter diesem Link das Video (in französisch) mit deutschem Fliesstext sehen. Dauer: 17 min.

Liebe Freunde des MCC, liebe Schwestern und Brüder, liebe gegenwärtige und ehemalige MCC-MitarbeiterInnen: Nur wenige sind am Allerheiligensonntag auf dem Geisberg versammelt. Wegen des Covid-19 werden die meisten von ihnen irgendwo in diesem schönen Land vor einem Bildschirm sitzen, verstreut in unserer verwirrten und zerrissenen, aber geliebten Welt.
Mit großer Freude und einem Gefühl der Ehre, aber auch mit Demut nahm ich die Einladung an, bei dieser Feier des hundertjährigen Bestehens der MCC in Geisberg eine Predigt zu halten.
Ich freue mich, weil MCC für mich eine Quelle und ein Katalysator der Freude gewesen ist, wie für viele Menschen auf der ganzen Welt.
Ich fühle mich geehrt, denn MCC, 1920 gegründet, ist eine der ältesten Nichtregierungsorganisationen der Welt und zweifellos eine der angesehensten, auch wenn sein öffentliches Profil relativ bescheiden ist.
Mit Bescheidenheit nehme ich diesen Auftrag wahr, weil MCC, abgesehen davon, dass es hundert Jahre alt und respektiert ist, sich nachhaltig für den Dienst an der Guten Nachricht Christi einsetzt, aufgrund der göttlichen Inkarnation für die ganze Menschheit, und als ein Zeugnis der ewigen und unveränderlichen Liebe, die weder gekauft noch verkauft werden kann.

Im Sinne einer Predigt stütze ich mich auf einen der biblischen Texte zum Allerheiligen- bzw. Reformationssonntag: 1 Thessalonicher 2, 1 bis 8. In diesem Text ist vom authentischer Dienst am Evangelium die Rede, und das scheint mir angesichts des wackeligen politischen Klimas unserer Tage genau das Richtige für diesen Anlass zu sein. Denn MCC, weit davon entfernt, perfekt zu sein, verkörpert fast wortwörtlich die in diesem Text beschriebene Ansätze für den Dienst des Evangeliums an Menschen.
Ich werde den Text Absatz für Absatz lesen und auf einige der genannten Aspekte kurz eingehen. Ich lese aus der Einheitsübersetzung:


Vers 1: Ihr wisst selbst, Brüder und Schwestern, dass wir nicht vergebens zu euch gekommen sind.
Die Arbeit des MCC war nützlich, in Europa und anderswo, und hat konstruktive und nachhaltige Spuren hinterlassen: In Frankreich finden sich heute mehrere Häuser oder Einrichtungen, die seit den 1940er oder 1950er Jahren Menschen mit Behinderungen oder Kindern oder Studenten ein sicheres Zuhause bieten. In den Niederlandes, sind Menschen anzutreffen, die sich daran erinnern, wie sie oder ihre Verwandten während der schrecklichen Entbehrungen durch den Zweiten Weltkrieg, von MCC ein Paar Schuhe erhalten haben. Viele Menschen in Südosteuropa würden Ihnen sagen, wie dankbar sie für die unentbehrliche Hilfe waren, die sie in den neunziger Jahren während der Kriege in der Balkanregion erhielten (Wir könnten den Tag damit verbringen, Listen für die andern Kontinente zu erstellen, für Afrika, wo Tausende von Schulbildung profitierten, für Lateinamerika, wo Gemeinschaften bei ihrer Rehabilitation unterstützt wurden, für Asien oder den Nahen Osten usw.).
Hier in Europa erstmals Hygiene-Kessel eingesetzt worden, als ganze Bevölkerungen aus ihren Dörfern in Bosnien, Kroatien oder Serbien fliehen mussten und vielen Flüchtlingen nötigste Hygieneartikel fehlten. Zusammen mit der Abteilung für Materialressourcen von MCC hatten wir dieses Kesselprojekt auf die Beine gestellt, das sich bis heute bewährt. Gemeinden hier in Europa und Nordamerika mobilisieren sich, um Grundbedürfnisse von völlig mittellosen Menschen, oft auf der Flucht, zu decken.

Vers 2: Wir hatten vorher in Philippi viel zu leiden und wurden misshandelt, wie ihr wisst; dennoch haben wir im Vertrauen auf unseren Gott das Evangelium Gottes trotz harter Kämpfe freimütig bei euch verkündet.

Wenn wir die Worte «an Philippi» durch «in Europa während und nach der Reformation und in Russland und der Sowjetunion» ersetzen, spiegelt dieser Vers die mennonitisch-täuferische Erfahrung wieder, deren humanitärer Ausdruck das MCC ist. Der Dienst, den MCC seit den 1920er Jahren leistet, wurde inspiriert durch die Verfolgung und Zerstreuung der Täufer im 16. und 17. Jahrhundert, sowie durch das Leiden der Mennoniten während der Hungersnot in Russland und der Ukraine und durch den Terror in der Sowjetunion. Aus diesen schmerzlichen Erfahrungen erwuchs unter anderem die Motivation und die Entschlossenheit, denen zu dienen, die heute leiden, unabhängig von ihrem politischen oder ideologischen Hintergrund und trotz politischer oder logistischer Widerwärtigkeiten.

Vers 3 – 6: Denn wir predigen nicht, um euch irrezuführen und nicht in unlauterer oder betrügerischer Absicht, 4 sondern wir tun es, weil Gott uns geprüft und uns das Evangelium anvertraut hat, nicht also um den Menschen, sondern um Gott zu gefallen, der unsere Herzen prüft. 5 Nie haben wir mit unseren Worten zu schmeicheln versucht, das wisst ihr, und nie haben wir aus versteckter Habgier gehandelt, dafür ist Gott Zeuge. 6 Wir haben auch keine Ehre bei den Menschen gesucht, weder bei euch noch bei anderen,

Was der Apostel sagt, gilt meiner Meinung nach auch für MCC. Ich erinnere mich an die andauernden Bemühungen innerhalb der Organisation, authentisch und ehrlich zu sein, Spektakel zu vermeiden, nicht der Versuchung der humanitären Pornographie zu erliegen, sich nicht beeindrucken zu lassen, weder von der Rhetorik des Staates noch von der seiner angeblichen Feinde. Man könnte die damaligen Spannungen zwischen den USA und der Sowjetunion nennen, oder die nach wie vor blockierte Situation im Nahen Osten, oder die Beziehungen zwischen verschiedenen Religionsgemeinschaften in Asien oder anderswo. Aber das würde unseren Rahmen und unseren Zeitplan sprengen.
Ich habe die Ausbreitung von NGOs in den 1990er Jahren miterlebt, und sie hat seitdem noch zugenommen. Ich muss sagen, dass Unaufrichtigkeit, dubiose Motive, Ruhm und Geld oder einfach Erfolg, im humanitären Zirkus um die Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert erschreckend ist. MCC ist sich und seinem Auftrag treu geblieben, und ich glaube, dass dies einem tief verwurzelten, starken und gleichzeitig offenen Glauben zu verdanken ist. Ich spreche absichtlich nicht von einer religiösen oder gar theologischen Grundlage. Gott prüft unsere Herzen, wie es in unserem Text heißt, jedoch kann Gott niemals in unsere religiösen oder theologischen Systeme eingeschlossen werden. Die Barmherzigkeit und Schönheit Gottes geht weit über unsere Ideen und Überzeugungen hinaus – und auch über unsere Institutionen, die ebenfalls vergänglich sind. Als ich Direktor in Europa war, pflegte Generaldirektor John A. Lapp zu sagen: «Wir wissen nicht, ob und wie MCC das 20. Jahrhundert überleben wird.”

Vers 7: obwohl wir als Apostel Christi unser Ansehen hätten geltend machen können. Im Gegenteil, wir sind euch freundlich begegnet: Wie eine Mutter für ihre Kinder sorgt,

Ich glaube, dass MCC in angespannten Kontexten oder wo lokale Gemeinschaften westlichen Missionaren misstrauten, so gut aufgenommen wurde, weil es trotz imperialistischer Tendenzen der USA und des damit verbundenen Drucks nie versucht hat, ein bestimmtes Glaubensverständnis, eine bestimmte Weltanschauung oder einen bestimmten Lebensstil durchzusetzen. Darüber hinaus hat MCC bewusst davon abgesehen, Leute zu bekehren oder Gemeinden zu gründen. Ich weiß, dass dies nicht im Sinne von Manchen ist, aber das Ergebnis einer schlicht humanistischen und christlichen Präsenz des MCC in vielen Ländern zeigt, dass dies der richtige Weg ist. Ich nehme das Beispiel des Balkans, weil ich es in den 1990er Jahren erlebt habe: MCC wurde in den verschiedenen religiösen Kreisen dieses Pulverfasses des ehemaligen Jugoslawiens akzeptiert und respektiert, weil sie nicht kamen, um zu evangelisieren, sondern um zu dienen, wo die lokalen Gemeinschaften ein Bedürfnis verspürten und diese Präsenz ausdrücklich wünschten. Wer das Programm bestimmt, macht eben einen Unterschied. Innerhalb des MCC, zumindest während meiner Zeit, hiess es: «Wir richten uns nach den Signalen der Partner vor Ort».
Den Freiwilligen wurde jeweils während einem 2-wöchigen Seminar vor ihrer Ausreise zwei wichtige Dinge klar gemacht:

  1. Wenn wir ankommen, wird Gott bereits dort sein. Wir dürfen uns nicht einbilden, dass wir diejenigen sind, die Gott zu diesen armen Menschen bringen. Gott ist schon lange vor uns unter ihnen gewesen.
  2. Wir gehen nicht dorthin, um die richtige Lebensweise einzuführen, sondern um den Interessen der dortigen Gemeinschaften zu dienen und von ihnen zu lernen. Was wir von unseren Partnern erhalten, ist genauso wichtig, wenn nicht sogar wichtiger, als das, was wir ihnen bringen.

Vers 8: so waren wir euch zugetan und wollten euch nicht nur am Evangelium Gottes teilhaben lassen, sondern auch an unserem Leben; denn ihr wart uns sehr lieb geworden.

In dem Masse, wie die Erfahrung des Leidens im Laufe der Geschichte die Pioniere von MCC inspiriert und motiviert hat, zieht sich die Barmherzigkeit Gottes für jeden Menschen und jede Gemeinschaft, unabhängig von Identität, Geschlecht, Orientierung oder Religion, wie ein roter Faden durch die Arbeit von MCC; insbesondere dort, wo die Not am größten ist. Ich war immer wieder beeindruckt von der Liebe und Zärtlichkeit meiner MCC-Kolleginnen und Kollegen für die Menschen und Gemeinschaften, wo sie tätig waren. Obwohl das MCC seine Mitarbeiter finanziell und materiell unterstützt, geben sie dennoch einen guten Teil ihres Lebens und ihrer Karriere, denn sie verpflichten sich, die örtliche Sprache zu lernen und mindestens drei Jahre lang zu dienen, wobei sie einige Risiken eingehen. Und ja, einige wenige haben ihr Leben dabei gelassen.

Ein dritter biblischer Hinweis, auf den ich hier anspielen möchte, ist das Ende von Psalm 85, welcher von der freundschaftlichen und innigen Begegnung zwischen Barmherzigkeit und Wahrheit, und zwischen Gerechtigkeit und Frieden spricht. John Paul Lederach, der in der ganzen Welt für seine Pionierarbeit in der Konfliktbearbeitung und Friedensförderung bekannt ist, sagt, dass die intime Begegnung dieser vier Qualitäten des Reiches Gottes der Ort ist, an dem Versöhnung stattfinden kann. Wo Barmherzigkeit und Wahrheit (die sich oft gegenseitig auszuschließen scheinen) einander umarmen, und wo Gerechtigkeit und Frieden (man hört z.B., dass es im Nahen Osten Eines oder das Andere ist, aber nicht beides) einander küssen, ist Versöhnung bereits aim Gang und kann ihren Weg gehen, so lange es auch dauern mag.

Ron Byler, MCC-Direktor, der vor zehn Tagen in den Ruhestand ging, zitierte in seiner Ansprache bei der Online-Feier zum hundertjährigen Bestehen von MCC aus 2. Korinther 5,18, in dem vom Dienst der Versöhnung die Rede ist. Dieser Dienst ist denen anvertraut, die sich auf Christus berufen. MCC ist bekannt für seinen Dienst im Namen Christi als Antwort auf menschliche Bedürfnisse. Seit seiner Gründung im Jahr 1920 hat MCC Menschen und Gemeinschaften in Not erreicht: “Meeting human need in the name of Christ” hiess das Motto – Auf menschliche Bedürfnisse im Namen Christi antworten. Dieser Satz prägte mich, bevor ich wirklich Englisch sprach. Gewiss: nicht alle Probleme werden gelöst werden, Ungerechtigkeit und Schmerz nicht ausgelöscht, die Folgen des Krieges nicht rückgängig gemacht. Jedoch geht es um einen Dienst der Versöhnung, zwischen Einzelpersonen und Gemeinschaften oder Völkern, aber auch zwischen Opfern und ihrer Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Jesus ist ein von Gott geschaffener Mensch – Fleisch und Blut. Christ sein bedeutet daher, den Menschen wert zu schätzen und ihm seine unantastbare Würde zu lassen, denn er trägt den Funken des Göttlichen in sich.
Heute, unter dem Druck des Covid, ist die Rettung der Wirtschaft in aller Munde. Einige sagen, dass wir das jüdisch-christliche Erbe retten müssen. Aber es ist weder die Wirtschaft, die gerettet werden muss, noch ein kulturelles oder religiöses Erbe, noch eine Nation, noch eine Republik. Heute, wie zu biblischen Zeiten, und wie anno 1920, ist es der Mensch und seine Würde, die gerettet werden müssen. Nun lebt der Mensch nicht vom Brot allein, wie Jesus sagte. Das bedeutet, dass der Mensch nicht in erster Linie ein wirtschaftliches, sondern ein soziales Wesen ist. Das ist es, was Jesus manifestiert hatte. Was ist sozial? Es geht um Beziehungen und der Ursprung der Beziehung ist die Liebe.
Anlässlich des 75-jährigen Bestehens von MCC im Jahr 1995 wurde einigen Menschen irgendwo auf der Welt folgende Frage gestellt: Was sind deine tiefsten Sehnsüchte, Träume und Hoffnungen? Die Antworten mit schwarz-weiss Fotos befinden sich in einem schönen Buch. Eine Person antwortete: “Ein dichtes Dach und eine Kuh». – Also ja, Essen für die Hungrigen, ein Dach für die Obdachlosen, ein Papier für die Papierlosen, Freiheit für die Gefangenen Darum geht es bei der Mission des MCC – und das ist die Mission von uns allen – in unserer zerbrochenen Welt: die Menschlichkeit wertschätzen, die Würde respektieren und wiederherstellen, Nahrung geben, jemanden besuchen und mit unserer Anwesenheit würdigen, Gemeinschaften aufbauen, Beziehungen erleichtern. Dieses alles in Demut, denn niemand ist allein Träger der Wahrheit, niemand ist allein Erbe der Barmherzigkeit, niemand hat die alleinige Vertretung der göttlichen Liebe. Wir alle sind Geschöpfe unter der Gnade Gottes.

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