Dimension des heiligen Geistes
Predigt von Dorothea Loosli, Mennoniten-Gemeinde Bern
Text:
Die Ausgießung des Heiligen Geistes Apg 2, 1 – 11 (Schlachter- Bibel)
1 Und als der Tag der Pfingsten sich erfüllte, waren sie alle einmütig beisammen.
2 Und es entstand plötzlich vom Himmel her ein Brausen wie von einem daherfahrenden gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen.
3 Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich zerteilten und sich auf jeden von ihnen setzten. 4 Und sie wurden alle vom Heiligen Geist erfüllt und fingen an, in anderen Sprachen zu reden, wie der Geist es ihnen auszusprechen gab. 5 Es wohnten aber in Jerusalem Juden, gottesfürchtige Männer aus allen Heidenvölkern unter dem Himmel. 6 Als nun dieses Getöse entstand, kam die Menge zusammen und wurde bestürzt; denn jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden. 7 Sie entsetzten sich aber alle, verwunderten sich und sprachen zueinander: Siehe, sind diese, die da reden, nicht alle Galiläer? 8 Wieso hören wir sie dann jeder in unserer eigenen Sprache, in der wir geboren wurden? 9 Parther und Meder und Elamiter und wir Bewohner von Mesopotamien, Judäa und Kappadocien, Pontus und Asia; 10 Phrygien und Pamphylien, Ägypten und von den Gegenden Libyens bei Kyrene, und die hier weilenden Römer, Juden und Proselyten, 11 Kreter und Araber – wir hören sie in unseren Sprachen die großen Taten Gottes verkünden!
In der Pfingstgeschichte wird uns die Ursprungserfahrung der Christen mit dem Heiligen Geist erzählt. Ich finde es spannend, mit diesem Ereignis wird für uns eine weitere Dimension Gottes explizit sicht- und spürbar.
«Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen» wird in Psalm 18,30 die Erfahrung besungen, dass Gott Kraft verleiht um Hindernisse zu überwinden, um Grenzen zu überschreiten und für unmöglich Gehaltenes zustande bringt. Seit Pfingsten wissen wir: Diese alles überwindende Kraft ist der Heilige Geist, den Jesus in der Apostelgeschichte 1,8 angekündigt hat «Ihr werdet die Kraft des heiligen Geistes Empfangen, der auf euch kommen wird.»
Im Buch «Nachfolge» hat Dietrich Bonhoeffer im Kapitel über die Taufe eine kleine Theologie des Heiligen Geistes eingebaut. Er zeigt aufgrund zahlreicher Bibelstellen auf, wie der Heilige Geist Gewissheit und Klarheit im Leben der Jesus- Nachfolgenden schafft. Er lehrt uns, dass – ausgehend von der Taufe als Gabe des Heiligen Geistes – das Christsein etwas sehr dynamisches ist: Wenn Nachfolge bedeutet hinter Jesus herzugehen und zu spüren, was er mir heute sagen und wohin er mich lenken will, dann könnten das auch neue, ungeahnte, kreative und nicht zuletzt unsichere Wege sein. Wenn der Geist Gottes in eine bestimmte Lebenssituation hinein wirkt, dann kann das eine oft überraschende Helligkeit und Ruhe in einem Menschen auslösen.
Im Laufe der Geschichte hat der Heilige Geist viele symbolische Namen erhalten, vom Feuer Gottes bis zum Lebendigmacher – am besten gefällt mir «der uns Flügel verleiht», denn
• mit dem Heiligen Geist überspringen wir die Grenzen unserer eigenen Möglichkeiten – indem er uns den wahren Glauben schenkt
An Gott glauben heisst nicht, bestimmten Sätzen zuzustimmen. Die Frage, ob wir glauben, dass Jesus Christus Wunder getan hat oder für unsere Sünden gekreuzigt wurde ist für die Bedeutung des Glaubens eher nebensächlich. An Gott glauben heisst, das ganze Vertrauen auf ihn setzen, sich auf ihn verlassen. Das fällt uns Menschen einiges schwerer als ja zu den genannten Fragen zu sagen. Wie stolz sind wir doch, wenn wir es selber packen, wenn wir selbst unseres Glückes Schmied sind, wenn wir es selbst können. Wir lassen uns nur sehr ungern unter die Arme greifen, das würde ja heissen, dass man es nicht selbst schafft. Durch dieses Denken fehlt uns die Vernunft und Kraft zum wahrhaften Glauben an Gott, es schränkt uns ein – bitten wir den Heiligen Geist um den Glauben der uns Flügel verleiht.
• mit dem heiligen Geist überspringen wir die Grenzen unserer eigenen Möglichkeiten – indem er uns in der Trostlosigkeit tröstet
Wir alle wissen aus eigener Erfahrung wie wohl es tut, getröstet zu werden. Wir kennen tröstende Worte oder eine wortlos tröstende Geste, aber auch das Gefühl der Untröstlichkeit, die weder für Worte noch Gesten empfänglich ist. Wir wissen, was mit dem Wort «Trost» gemeint ist, auch wenn es in einem ganz banalen Zusammenhang wie einem Stück Schokolade als «Seelentröster» gebraucht wird. Es gilt aber zu unterscheiden zwischen echtem und falschem Trost. Ein enttäuschter Getrösteter war Hiob als er seinen Freunden antwortete: «Ich habe das schon oft gehört. Ihr seid allzumal leidige Tröster. Wollen die leeren Worte kein Ende haben?»(16,2f). Mit dem Wort «Trost» verbinden wir Handlungen wie Zuspruch, Ermutigung, Beistand und Hilfe und der Zustand, der dadurch erzeugt wird: Innere Ruhe, Mut Zuversicht. Dieser Trost macht getrost. Von guten Mächten sind wir wunderbar behütet und getröstet – wie es Dietrich Bonhoeffer ausdrückt – und «erwarten wir getrost, was kommen mag» – er verliess sich darauf, vom Heiligen Geist getröstet zu werden.
• mit dem heiligen Geist überspringen wir die Grenzen unserer eigenen Möglichkeiten – indem er uns Beten lernt
Die Not lehrt uns Beten, sagt ein Sprichwort. Es sagt aus, dass damit auch im Beten ungeübte oder vom Beten gar nichts haltende Menschen in äusserster Not zum Beten finden. Jedem liege es sozusagen im Blut, in Worten des Gebets Zuflucht zu nehmen, deshalb sei das Beten in allen unterschiedlichen Religionen und Kulturen anzutreffen. «Gott sei Dank» oder «Ach Gott» sind Klage- oder Bittgebete in Kürzestform.
Allerdings verschafft Gott kaum Erfüllung wenn er mit einem selbstsüchtigen Wunschzettel bemüht wird, wenn alles andere nicht mehr verfängt. Ebenso wenig, wenn es sich eher um eine religiöse Show handelt und gezeigt wird, wie fromm man ist. Jesus hat davon in der Bergpredigt gesprochen (Matt 6,5ff) «Wenn du aber betest, so geh in dein Kämmerlein und schliess die Tür zu und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir’s vergelten.» Mit dem «Vater unser» hat er uns eine Anleitung gegeben. Doch wie schütze ich mich, dass ich nicht auch diese Zeilen mit meinen unheiligen Wünschen und Absichten fülle? Wer lehrt mich die Unterscheidung zwischen Ereignissen, in die ich mich nach Gottes Willen schicken soll und solchen um deren Abwendung ich um seinen Willen bitten darf? Solche Überlegungen sollen uns nicht verstummen lassen, denn all dies liegt nicht bei uns. Die Frage dazu ist einzig, ob wir frei und bereit dazu sind, uns nicht auf uns selbst zu verlassen, sondern dem Geist Gottes in uns Raum zu geben, er wird die rechten Worte finden.
• mit dem heiligen Geist überspringen wir die Grenzen unserer eigenen Möglichkeiten – indem er uns zu Lieben befähigt
Auch in der Liebe kann man zwischen recht und falsch unterscheiden. Dabei ist vorab zu klären, dass die Selbstliebe kein Gegensatz zur Nächstenliebe ist. Wer sich selbst nicht liebt, der wird sich auch schwer tun, mit anderen sorgsam umzugehen. Es geht also nicht darum, sich statt der Selbstliebe der Nächstenliebe zu widmen, wer nicht imstande ist zu lieben, dem hilft es wenig, wenn er dazu aufgefordert wird. Im Gegenteil, eine Appell führt zu Selbstbezichtigung, «ich schaffe es nicht, ich bin verachtenswert». Wir dürfen uns nichts vormachen, wir alle stehen uns umgebenden Wünschen, Verführungen und Mächten nicht selbstbestimmt und souverän gegenüber, wie oft ziehen wir sie lieblos dem Mitmenschen vor? Ob wir zur Liebe fähig sind hängt davon ab, was uns antreibt. Luther hat das Phänomen krass ausgedrückt: Der menschliche Wille ist wie ein Reittier, es wird entweder von Gott oder vom Teufel geritten. Die Bitte um den Heiligen Geist bringt zum Ausdruck, dass ohne seinen Beistand, Hilf und Gunst die Liebe in uns keine Wurzeln schlägt.
• mit dem heiligen Geist überspringen wir die Grenzen unserer eigenen Möglichkeiten – indem er uns zum Bekenntnis ermutigt
Ist es nicht sonnenklar, dass man als Christ Widerstand hätte leisten müssen – solche und viele weitere Fragen brechen zum 75jährige Jubiläum des Kriegsendes auf. Aber wie oft ziehen wir es vor, bei frechen und aggressiven Kommentaren über Langsame, Beeinträchtigte, Andersfarbige und -glaubende zu schweigen? Es lohnt sich ja nicht Streit zu suchen, zudem wirken die Akteure furchterregend – das gibt uns eine Ahnung, dass in einer brenzligen Situation offen zu seiner Meinung zu stehen ganz und gar nicht selbstverständlich ist.
«Es gilt ein frei Geständnis in dieser unserer Zeit» heisst eine Aufforderung in einer Liedzeile, doch eine Aufforderung kann die Angst und Menschenscheu nicht vertreiben, das kann nur der Geist des Muts und der Wahrheit, der mit seinem heiligen Feuer unser Herz und unsere Lippen anrühren muss.
• mit dem heiligen Geist überspringen wir die Grenzen unserer eigenen Möglichkeiten – indem er in uns die Feindschaft der Sprach-, Kultur-, und Religionsgrenzen überwindet
Die Verwirrung der Sprachen steht als Symbol für die Risse und Brüche, die Menschen verschiedener ethnischer, kultureller und religiöser Prägung voneinander trennen. Dass diese Trennlinien auch in Europa noch nicht überwunden sind, mussten wir in den letzten Jahrzehnten schmerzlich erfahren (Irland, Balkan). Mit dem Pfingstfest haben die Sprachen und Kulturen das Trennende und die abschottende Wirkung verloren, die Menschen konnten einander verstehen – sollte man meinen. Jedes Jahr feiern wir die Ausschüttung des Heiligen Geistes und nähren die Hoffnung, dass die Gräben zwischen Menschen und Völkern und Rassen zugeschüttet oder doch wenigstens überbrückt werden können. Das braucht übermenschliche Hoffnungskräfte, denn da ist oft niemand, der die Scharfmacher zur Räson bringt, wenn sie die zarten Pflänzchen des Ausgleichs und der Versöhnung mit ihrem Hass vergiften. Naheliegend, wenn sich die Menschen zurückziehen, «am besten lässt man die Wunde ausbluten» wie man so schön sagt. Aber es gibt bewundernswerte Menschen, die nicht müde werden ihr Leben und ihre Gesundheit aufs Spiel zu setzen um das Unmögliche möglich zu machen. Solche Geduld, solcher Mut und solche Verwegenheit kann nur im Horizont des Wirkens des Heiligen Geistes verstanden werden, er steht nicht für Uniformität sondern für Kreativität und die Einheit in Vielfalt.
• mit dem heiligen Geist überspringen wir die Grenzen unserer eigenen Möglichkeiten – indem er uns anhält das Heilige zu hüten
Durch die ganze Bibel – insbesondere aber im Alten Testament – zieht sich der Gedanke durch, dass Gottes Heiligkeit der ganzen Welt innewohnt. Gott offenbart seine Heiligkeit nicht nur den Menschen, er heiligt Dinge, Orte, Zeiten und Menschen und nimmt sie für sich in Anspruch. Die Menschen sind immer wieder der Versuchung ausgesetzt, das Heilige nach ihren Wertmassstäben zu bestimmen und damit falsche Götter zu verehren. Was nach Gottes Willen geheiligt werden soll nehmen wir zu unserem eigenen Schaden ins Meer des Gewöhnlichen zurück. Von der Ruhe am siebten Tag bis zur geheiligten Natur. Es scheint, dass Heilig werden und Heiliges tun nicht in der Reichweite der menschlichen Möglichkeiten liegt. Die Heiligkeit der Welt kann nur aus der Teilhabe an Gottes Heiligkeit und aus ihrer Widerspiegelung entstehen, so ist sie den Menschen nur als erbeten und geschenkt zugänglich. Der Kirchenvater Augustinus hat das wunderschön zum Ausdruck gebracht:
Atme in mir, du heiliger Geist, dass ich Heiliges denke.
Treibe mich, du heiliger Geist, dass ich Heiliges tue.
Locke mich, du heiliger Geist, dass ich Heiliges liebe.
Stärke mich, du heiliger Geist, dass ich Heiliges hüte.
Hüte mich, du heiliger Geist, dass ich das Heilige nimmer verliere.