Sonntag nach Ostern

1. Sonntag nach Ostern 1. Petrus 2, 2-10

Mit euch wird ein Haus gebaut, das die Geistkraft selbst zusammenhält
1.
Petrus 2, 2-10

Predigt von Dorothea Loosli-Amstutz

Wir feiern heute den ersten Sonntag nach Ostern. In vielen Kirchen wird an diesem Sonntag als Eingang das «Quasi modo geniti» gelesen: «Wie neugeborene Kinder, Halleluja, verlangt nach der vernünftigen, unverfälschten Milch, Halleluja». Dieser Text erinnert an den Beginn eines neuen Lebens in Jesus Christus nach dem Osterfest. Gibt uns diese Begebenheit die Sicherheit in unserem Alltag, die wir so dringend benötigen? So viele Menschen haben Angst vor Veränderungen, so als wäre das, wie es ist und war, schon das Paradies.

Im Refrain von «Irgendetwas bleibt» der Band Silbermond wird folgender Wunsch an den oder die Liebste ausgedrückt:

«Gib mir ’n kleines bisschen Sicherheit
In einer Welt, in der nichts sicher scheint
Gib mir in dieser schnellen Zeit irgendwas, das bleibt Gib mir einfach nur ’n bisschen Halt
Und wieg mich einfach nur in Sicherheit
Hol mich aus dieser schnellen Zeit
Nimm mir ein bisschen Geschwindigkeit
Gib mir was, irgendwas, das bleibt.»

Ein Liebeslied, in dem viele Fragen gestellt werden, wie sie unzählige Liebespaare kennen. Ich erkenne die gleichen Fragen wieder in meiner Glaubensgeschichte: Worauf kann ich mich verlassen? Was bleibt, wenn die Welt den Verstand verliert – bleibt das, was du sagst? Ich glaube meinem Gott und kann es gleichzeitig nur schwer glauben, frage nach, suche nach Gewiss- und Sicherheiten.

So ähnlich ist es vermutlich schon vor über 2000 Jahren der jungen Gemeinde in Kleinasien, der heutigen Türkei gegangen. Mit dem Wissen der Thora und der Sehnsucht nach Gottes Gerechtigkeit suchten die Juden ebenso nach Gewissheit und Halt im Leben und sie waren davon überzeugt, dass Jesus der von Gott Gesandte ist. Sie lebten von dem, was sie von ihm hörten. Sie waren nicht viele, einzelne kleine zerstreute Gemeinden im grossen Land – mit einem Mal wurden sie zu Aussenseitern. Sie kamen in Verruf, als Traumtänzer, die einem Gekreuzigten nachfolgen. Naive, die an Auferstehung glauben; Weltfremde, die sich auf die Worte eines irdischen Gottes verlassen; Verräter des römischen Kaisers. Die Kritik nagt, breitet sich aus, verunsichert: Haben die nicht doch eigentlich recht, die sagen, dass in der Welt andere Massstäbe gelten? Was wollt ihr mit eurem Christentum? Aus den Verrufenen werden nach und nach Verfolgte, es wird handgreiflich, tödlich. Die Kaiser Nero und Diokletian treiben die ersten Jahrhunderte ein grausames Spiel mit den Christen.

In dieser ausweglosen Situation erhalten die Gemeinden in Kleinasien einen Brief im Namen des Apostel Petrus, indem er erklärt und Rat gibt:

«Wie Neugeborene nach Milch verlangen, so sollt auch ihr nach Milch, nach unverfälschten Worten, verlangen. Solche Nahrung soll euch stark machen, damit ihr Heil und Rettung erfahrt. Ihr habt doch geschmeckt, dass Gott freundlich ist.

Wenn ihr zu dem lebenden Stein kommt, den die Menschen weggeworfen haben, der vor Gott aber auserwählt und wertvoll ist, werdet ihr selbst wie lebendige Steine. Mit euch wird ein Haus gebaut, das die Geistkraft selbst zusammenhält. Ihr werdet zu einer heiligen Priesterschaft, damit ihr Gaben darbringt, die die Geistkraft wirkt, die Gott gefallen, weil sie im Vertrauen auf Jesus Christus dargebracht wurden. Deswegen heißt es in der Schrift: Siehe, ich setze in Zion einen Eckstein, erwählt und wertvoll, und wer ihm vertraut, wird nicht verloren gehen. Ihr vertraut ihm, für euch ist er das Wertvollste. Für die aber, die ihm nicht vertrauen, ist er der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der zum Eckstein geworden ist, ein Stein, an dem sie sich stoßen, und ein Fels, der Anlass gibt, sich zu ärgern. Der Eckstein Jesus Christus.» ( 1. Petrus 2, 2-10, Bibel in gerechter Sprache)

Der Schreiber des Briefes weiss um die Ängste seiner Gemeinde: Ihr seid noch wie Babys im Glauben und müsst wachsen wie Kinder. Was ihr dazu braucht findet ihr im Wort Gottes. Klar, die anderen verstehen euch nicht. Der Schreiber erklärt die Situation mit dem alten Bild vom Eckstein. Dabei kann man vor dem inneren Auge plastisch sehen, wie das wertvolle stabile Gebäude in Zion entsteht, doch kaum freut man sich, zerbricht das Bild – die Bauleute haben den Stein verworfen. Das ist die kürzeste Zusammenfassung der Passionsgeschichte.

Jesus Christus der Eckstein, der von den damaligen Religionsführern ausgemustert wurde. Er störte, den brauchte man nicht und so musste er weg. Aber seine Botschaft der Liebe konnte der Tod nicht töten. Sie breitete sich schnell aus, in Windeseile weit über die Landesgrenzen hinaus – bis heute. Das Christentum wurde zur weltweit grössten Religion in verschiedenen Konfessionen. Der damals verworfene Stein wurde trotzdem zum Eckstein.

Allerdings ist dieser Stein für viele auch heute noch ein Grund des Anstosses. Zwar denken wir in erster Linie an die Länder wo Christen explizit verfolgt werden und weniger an die Situation hier in Europa. Ja, hier ist es vielleicht eher ein nachsichtiges Lächeln, im Sinne von «Du wirst auch noch vernünftig» oder «Träum weiter». «Wer soll das bezahlen?» fragt vielleicht der empörte Politiker, wenn er auf die Not von Menschen aufmerksam gemacht wird, «das geht nicht!» Und wenn wir sanft widersprechen und sagen «Doch, das geht, wir brauchen dazu aber auch Gottvertrauen» wird er vermutlich antworten «da reicht Gottvertrauen nicht, jetzt brauchen wir Vernunft und Verstand.» Vernunft und Verstand dem Gottesvertrauen entgegen stellen? Ich denke, wenn wir das tun, vergeben wir ganz viel. Ich setze nicht auf entweder – oder, sondern auf sowohl – als – auch.

Gerade in der jetzigen Situation kann man in Gesprächen erleben, dass Menschen an diesem Vertrauen und der Hoffnung Anstoss nehmen. Das stimmt mich oft nachdenklich. Könnte es nicht doch sein, dass sie ein kleines bisschen recht haben? Bin ich in meinem Glauben zu naiv? Hilft der Glaube wirklich angesichts der drängenden Probleme der Welt: dem Klimawandel, der Pandemie, der Ausbeutung von Mensch und Tier, dem Aussterben von Insekten, Fischen und anderen Tieren und Pflanzen?

Doch, ich glaube aus vollem Herzen: Ja! Die Nachfolge und der Glaube an den jesuanischen Weg, die ich gelernt habe von meinen Eltern und vielen anderen, der macht ja nicht blind. Er braucht die Vernunft – eine enorme Gabe, die wir Menschen geschenkt bekommen haben: Intelligenz, Verstand, Denken und Liebe. Diese helfen,

die eigenen Grenzen zu erkennen. Ich weiss wie schnell ich anstosse, wie schnell ich verunsichert und ratlos bin. Aber dann kann ich sagen: Jetzt bin ich am Ende meines Lateins, aber ich vertraue auf die Weisheit der göttlichen Kraft.

«Mit euch wird ein Haus gebaut, das die Geistkraft selbst zusammenhält» Dieses Bild gefällt mir ausserordentlich und mir kommen all die mitbauenden Menschen in den Sinn. Mit ihnen fühle ich mich verbunden im Haus der lebendigen Steine, dem Haus, das Gottes Geist zusammenhält. Dieses Haus umfasst nicht nur die verfassten, organisierten Kirchen und Gemeinden. Dieses Haus ist durchlässig, geht mitten durch die Welt, steht auf sicherem Fundament mit schützendem Dach und trotzt allen Wettern.

Ein solches Haus ist auch die Demokratie: Auf dem festen Grund der Menschenrechte gebaut, mit dem schützenden Dach der Rechtsstaatlichkeit. Wie sieht der Eckstein in diesem Haus aus? Demokratie ist weder Gleichheit noch Individualismus. Demokratie ist Gemeinschaft in Solidarität. Dieses Haus erlebt zur Zeit in dieser Hinsicht wilde Stürme. Helfen wir mit, dass es ein Haus bleibt, das mitten in der Welt steht, in dem Menschen im Miteinander Gewissheit und Sicherheit finden.

Auch Kirchen und Gemeinden stelle ich mir so vor: Raum für Menschen, die nach der göttlichen Kraft und seinem Geist suchen – gleich welcher Konfession und nicht nur in Kirchenräumen. Nein, als transparentes Haus über alle Kontinente hinweg, getragen von einem besonders schönen Eckstein: der Botschaft von Frieden, Liebe und Leben für alle Menschen.

In diesem Haus erzählen die Menschen einander, was ihnen hilft um auf diesen Eckstein zu vertrauen und ihr Leben darauf bauen zu können. Die eine sagt vielleicht wie Luther «Ich bin getauft», der andere «mein Konfirmationsspruch» und wieder andere «die Musik von Johann Sebastian Bach», «das Gedeihen der Schöpfung», «die Liebe zum Mitmenschen».

Prägnante Erfahrungen, die uns tragen – wie der Eckstein das Haus.

Dorothea Loosli-Amstutz Quasimodogeniti, 11.4.21

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